Samstag, 19. Juni 2010

Zeitungslektüre I

Am Dienstag, den 15. Juni 2010 hatte die FAZ auf S. 35 neben einem längeren Beitrag zu "Rimbaudmania. L'éternité d''une icône", was so gut zu dem neu entdeckten und offensichtlich authentizierten Photo vom Perron des Hôtel de l'univers in Aden passt und etwa einen Monat früher in derselben Zeitung, im TLS und bestimmt auch in anderen kulturbewussten Blättern Furore machte und mich veranlasste,meine deutsch-französische Ausgabe aus der Gymnasialzeit "Arthur Rimbaud, Sämtliche Dichtungen. Französisch mit deutscher Übersetzug von Walther Küchler" Heidelberg. Verlag Lambert Schneider 1955 (zweite neu durchgesehene Auflage) herauszusuchen - schön ist der Titel des Gedichts Comédie en Trois Baisers auf den Seiten 46-49, die deutsche Übersetzung zumindest weckt Verlegenheit wegen spätpubertärer Schwülstigkeit,also, daneben gab es einen kürzeren Beitrag, gezeichnet G.T. - wohl Gina Thomas - "Englands Gourmet", eine Notiz über den Tod von Egon Ronay, mit dem ich mich nicht in allen Punkten einig sehe. Dass halbgares Gemüse schädliche Bakterien enthalte, ist kaum eine spezifisch britische Ansicht. Die Klage gegen die Internate erscheint mir plausibler, insgesamt jedoch haben die Bemerkungen jedoch eher den überspitzt satirischen Charakter der Äußerungen des ebenfalls erwähnten George Mikes, der gerade auch die (Mädchen)internate aufs Korn genommen hatte. She must be Hungarian!
Eine andere Gefühls- oder Stimmungsqualität hatte ein anderer Beitrag von Thomas Speckmann, "Der erste deutsche Stellvertreterkrieg" in der FAZ vom 12. Juni S. Z3, obwohl noch frühere Erinnerungen an Brackwede, damals das größte Dorf Deutschlands, nachdem Steglitz das bis zu seiner Eingemeindung nach Berlin 1928 gewesen war, heute ein Stadtteil von Bielefeld, geweckt wurden, wo wir, ich denke, von 1948 bis 1951 in der Rolandstraße 10 lebten, die heute nach Bergljot nicht mehr erkennbar ist, weil von damals in der näheren Umgebung nur noch das damals neu gebaute Haus der Steinkrügers existiert. Mit Sigrid S. spielten wir ein wenig, und von ihrem Vater konnten wir unsere ersten Fahrräder erwerben, was meine Eltern für uns taten. Auf Brackwede fällt auch die Verantwortung, dass weder Bergljot noch ich konfirmiert wurden. Meine Mutter ging zum Pfarrer, weil Bergljot gern mit ihren Mitschülerinnen zum Konfirmationsunterricht in Bethel gegangen wäre. Die Bemerkung des Pfarrers, "nein,ich will alle meine Schäfchen um mich haben" provozierte die Bemerkung meiner Mutter, dass wir keine Schafe seien, und so entglitten wir dem Schoß der protestantischen Kirche. Ich habe solche Dinge immer sehr ernst genommen und ging mit meinen Gewissensqualen zu unserem Religionslehrer, als wir vor dem Abitur das Abendmal zu uns nehmen sollte. Eigentlich eher katholisch meinte er, das macht doch nichts, aber ich brachte es nicht über das Herz, Gott so zu betrügen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob es die Familie Bunte war, die katholisch war und meine Schwester zu der Bemerkung verleitete, das beichten die bestimmt nicht, wenn der älteste mal wieder Obst geklaut hatte. Bergljot hatte in jungen Jahren ziemliche Vorurteile gegenüber den Katholiken, deren Kirche in Brackwede ja auch jottwede lag. Übrigens wurde in Brackwede auch das Martinssingen gepflegt. In den Liedern gingen wir auch nach Köln, wo alle Leute uns was geben, aber der gute Mann im Lied war Martin Luther, der gute Mann, der jedem von uns "Sängern" zwei Groschen gab, solange sein Vorrat reichte, war Veli Kajum Khan im Nachbarhaus, der mit der größten Eleganz, die ich je erlebt habe, die feinen Möhrenstreifen für den turkestanischen Pilav schneiden konnte. Was hat das mit dem erwähnten Zeitungsartikel von Herrn Speckmann zu tun? Ich erinnere mich nur an den Anfang eines Schlagers Ei, ei, ei Maria, der von uns Kindern (oder auch von uns?) verfremdet wurde: "Ei, ei, ei Korea, der Krieg kommt immer näa..."
Ich erspare mir die gestrigen Erinnerungen aus Kozan/Sis (19. Juni), die trotz des einseitigen Leids so etwas ähnliches wie Tränen provozieren.