Samstag, 7. August 2010

Eine kurze Nachbemerkung zu An English gentleman's wife

Das TLS vom 30. Juli 2010 (S. 32) enthält aus gegebenem Anlass der Veröffentlichung von "Listening" in durch die Edinburgh University Press eine kurze Bemerkung über Elizabeth Bowen: "The real problem was that Bowen was 'a lifelong stammerer'", aber kaum dafür kalkulierte sie 1946, dass sie eigentlich jährlich 3.500 Pfund benötige, von denen sie zwei Drittel durch ihre schriftstellerischen Aktivitäten erwirtschaften könne.

Freitag, 6. August 2010

Lyder Sagen V (ein vorgezogenes Resumé)

Die Halbwertzeit der meisten Autoren im Læsebog Lyder Sagens war katastrophal, aber das ist zu anderen Zeiten mit anderen Autoren kaum anders gewesen. Wir mussten u.a. in den fünfziger Jahren in der Oberstufe des Gymnasiums, einem Gymnasium, aus dem mit 90 Jahren der älteste erfolgreiche Doktorand der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität stammt, Werner Bergengrüns Der Großtyrann und sein Gericht lesen.
Wenn wir uns an der Deichmanske Bibliothek (Bøger for Barn og Ungdom) orientieren, haben – und zwar bis heute – Asbjørnsen und Moe überlebt, nicht aber Faye, damals außerdem M.B. Landstad und P.A. Munch, der letztere mit seinen Norrøne gude- og helte-sagn. Ny udg. bearbeidet af A. Kjær. Christiania 1880, während A. Munch mit seinen Barndoms- og ungdoms-minder. Christiania 1874, Hertug Skule. tragoedie i fem akter. Kbh. 1864 und Pigen fra Norge; historisk/romantisk fortælling. Kbh. 1890 vertreten war. Sonst sind Æsop und Hanna Winsnes neben den dänisch-norwegischen Klassikern von Ludvig Holberg über Adam Oehlenschläger, Henrik Wergeland, Johan Sebastian Welhaven bis schließlich Maurits Christopher Hansen mit Noveller i Udvalg, ved H[ans] Jæger. Kra. 1882 zu finden. Manche sind vielleicht nur zufällig nicht in dem Katalog der Deichmanske Bibliothek oder wurden später, wie z.B. Zetlitz, wieder ausgegraben, aber insgesamt merkt man dem Katalog die doch stärkere Säkularisierung der Kinderliteratur fünfzig bis hundert Jahre (je nach Auflage) nach Lyder Sagens Lesebuch an.

Literatur zu allen Lyder Sagen-Ergüssen I-V etc., die nur abgekürzt erscheint, oft, aber nicht immer, abgeglichen mit Informationen aus dem Netz:

Birkeland, Tone, Risa, Gunvor und Karin Beate Vold, Norsk barnelitteraturhistorie. Oslo: Det Norske Samlaget 1997
Bøger for Barn og Ungdom i det Deichmanske Bibliothek. Kristiania: O. Fredr. Arnesens Bog & Accidenstrykkeri 1906 (Bogfortegnelse Nr. 15)
Brandes, Georg, Samlede Skrifter. Bd. 1-12. Kjøbenhavn: Gyldendalske Boghandels Forlag (F. Hegel & Søn) 1899-1902
DBH
Dahl, Svend og P. Engelstoft, Dansk biografisk haandleksikon. Bd. 1-3. Kjøbenhavn of Kristiania: Gyldendalske Boghandel – Nordisk Forlag 1920-1926
Fabula docet. Illustrierte Fabelbücher aus sechs Jahrhunderten. Ausstellung aus Beständen der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und der Sammlung Dr. Ulrich von Kritter. Konzeption von Ulrike Bodemann. Braunschweig: Waisenhaus-Buchdruckerei und Verlag 1983
Glambek, Finn, Lyder Sagen. En monografi. Begren 1931 (Bergens historiske forenings skrifter 37)
Grandjean, Louis E., Skibbruddets Saga. København: Høst & Søns Forlag 1947 (Søhistoriske Skrifter 1, udgivet av Handels- og Søfartsmuseet paa Kronborg og Selskabet Handels- og Søfartsmuseets Venner)
Hagemann, Sonja, Barnelitteratur i Norge inntil 1850. Oslo: H. Aschehoug & Co. 1965
Hagemann, Sonja, Barnelitteratur i Norge 1850-1914. Oslo: H. Aschehoug & Co. (W. Nygaard) 1970
Hagemann, Sonja, Barnelitteratur i Norge 1914-1970. Oslo: H. Aschehoug & Co. (W. Nygaard) 1974
Helliesen, Sidsel: "Johan Christian Dahl"; in: Berswordt-Wallrabe, Kornelia von (Hrsg.): Caspar David Friedrich, Johan Christian Dahl. Zeichnungen der Romantik [Katalog z. gleichnam. Ausst., Staatliches Museum in Schwerin 16.06-9.09.2001], Schwerin 2001
Hoel, Merete Lie, Kunstnernes Oslo. Oslo: J.W. Cappelens Forlag1992
Jakten på det norske. Perspektiver på utviklingen av en norsk nasjonal identitet på 1800-tallet. Hrsg. Øystein Sørensen. Oslo: Ad notam Gyldendal 1998
Johan Christian Dahl 1788 – 1857: „Du Bergens Stolthed, Norges Hæder. Hrsg. Ormhaug, Knut. Bergen 1988
Joleik, Albert, Sunnfjord Soga fram til 1801. Bd. II. Flora: Sunnfjord Sogenemd 1959
Klingberg, Göte, Till gagn och nöje – svensk barnbok 400 år. For Instruction and Delight. The Swedish Children’s Book – 400 Years. Stockholm: Rabén & Sjögren 1991
Kvam, Lorentz N., Om norsk kriminallitteratur. Oslo: N.W. Damm & Søn 1942 (Småskrifter for Bokvenner 12)
Merget. Adalbert, Geschichte der deutschen Jugendliteratur. 3. Aufl., revidiert und mit einem Katalog von Jugendschriften versehen bon Ludwig Berthold. Berlin: Verlag der Plahn’schen Buchhandlung 1882 (Nachdruck Hanau: Werner Dausien 1967)
Ness, Einar, Det var en gang – norsk skole gjennom tidene. Oslo: Universitetsforlaget 1989
Nielsen Yngvar, Universitetets Ethnografiske Samlinger 1857/1907. En historisk oversikt over deres tilblivelse, vækst og udvikling. Christiania: W.C. Fabritius & Sønner A/S 1907 (Meddelelser fra det ethnografiske musæum 1)
Nordhagen, Per Jonas, Henrik Ibsen I Roma 1864-1868. Oslo: J.W. Cappelens Forlag 1981
Østby, Leif, Norges kunsthistorie. Oslo: Gyldendals Norsk Forlag 1977
Quiller-Couch, Sir Arthur, On the Art of Reading. Lectures Delivered in the University of Cambridge 1916-1918. Cambridge: At the University Press 1921
Skjelbred, Dagrun, Norske ABC-bøker 1777-1997. Tønsberg: Høgskolen i Vestfold, 2000
(Rapport 2/2000)
Tank, Roar, Boksamleren Professor Dr. Yngvar Nielsen. Oslo: N.W. Damm & Søn 1943 (Småskrifter for Bokvenner 25)
de la Tocnaye, Jacques-Louis, En franskmann in Norge i 1799. Übers. Axel Amlie. Oslo: J.W. Cappelens Forlag 1980

Donnerstag, 5. August 2010

Lyder Sagen IV

Abrahamson, Werner Hans Fredrik (Nr. 101, Krigeren, S. 127) (1744-1812) Militär, Lehrer und Autor. 1758 auf der Landkadett-Akademie und trotz des damals bestehenden Verbots, dort Dänisch zu sprechen pflegte er sein Interesse, Dänisch zu sprechen und zu schreiben – gewiss einer der Gründe für den Niedergang der Vielsprachigkeit, dazu Holberg: Mit seinesgleichen (Mann und Elite) spricht man Latein, mit den Damen Französisch, Deutsch mit dem Hund und Dänisch mit dem Diener nur. Er blieb als Lehrer an der Schule und arbeitete begeistert für die von Guldberg angeordnete Umorganisation des Heeres mit Dänisch statt Deutsch als Kommandosprache. Er unterrichtete als erster öffentlich auf Dänisch. Er vertiefte sich in Sprachforschung und in Runenstudien und wurde Mitglied der kgl. Kommission til Bevaring af Oldsager (Kommission zum Schutz der Altertümer). Er gab verschiedene wissenschaftliche Abhandlungen heraus und wirkte an der Gründung mehrerer Zeitschriften mit. Abrahamson wollte das Volkslied wiederbeleben und gab mit Rahbek und Nyerup eine Sammlung dänischer Volkslieder heraus (1812-14, Udvalgte danske viser fra Middelalderen I-V). Er dichtete selbst Gelegenheitsgedichte, z.B. das ironische Min søn, om du vil i verden frem, så buk – mein Sohn, willst du in der Welt voran, (ver)beuge dich. Baggesens Oper Holger Danske gab ihm wieder Gelegenheit zum Kampf (”Holgerfejden”) gegen die in Dänemark lebenden „Heimatdeutschen“. Freund Johannes Ewalds.
Werke: Rettesnor for sæderne, efter tidernes lejlighed (1790). Om sprogrenhed (1790). Om tyskeriet i midten af 1700-tallet (1805). (C.f. Kent, Neil, The Soul of the North. A Social, Architectural and Cultural History of the Nordic Countries, 1700-1940. 2000, S. 229)

Lyder Sagen III

Storm, Edvard (Nr. 52 Det kraftige Beviis, S. 41; Nr. 67 Zinklars=Visen, S. 74) *21. August 1749, †29. September 1794, war ein Dichter aus Vågå, Oppland. Er war Sohn des Johan Storm, Pfarrer in Vågå, und dessen zweiter Frau, Ingeborg Birgitta Røring. Die ersten 12 Jahre seines Lebens verbrachte er in Vågå, bis er 1756 (?) auf die Schule nach Christiania kam. 1765 absolvierte er das Aufnahmeexamen für die Universität in Kopenhagen, begann aber nicht sofort mit dem Studium. Eine Zeit lang war er Lehrer in Lesja, aber 1766-1769 kehrte er nach Vågå zurück. In diesen Jahren entwickelte sich sein starkes Interesse an der Natur und dem natürlichen Leben. Im Juli 1769 begann Storm seine Studien in Kopenhagen. Er studierte wohl Theologie, legte aber nie ein Examen ab, wahrscheinlich, weil seine literarischen Interessen ihn vom Studium ablenkten. Obwohl Norweger schloss er sich nicht Det Norske Selskab an, war jedoch ein Bewunderer des dänischen Dichters Johannes Ewald und gehörte zu seinem Zirkel, aus dem viele Mitglieder der Gesellschaft waren. Seine Jugend in Norwegen hatte ihn eng an dieses Land gebunden. Vor 1770 schrieb er neun Lieder im lokalen Dialekt, nicht nur bedeutend als erste Arbeiten, sondern einflussreich als frühe norwegische Dialektdichtung, und sie werden als das beste angesehen, das Storm geschrieben hat. Storm kehrte etwa 1785 nach Vågå zurück. Seitdem waren seine Arbeiten – als Gegner körperlicher Strafen – zur Pädagogik von besonderem Wert. 1786 gründeten einige der bedeutenderen Leute des Distrikts eine Volksschule. Storm war Mitglied dieser Gruppe und spielte eine wichtige Rolle in der Verwaltung der Schule. Hagemann 1965, pp. 87-88: Er brachte Rousseau und Basedow nach Norwegen.
Seine Arbeiten schließen ein das in das Læsebog (Nr. 67) aufgenommene "Hr Sinklar drog over salten Hav", in dem er die Niederlage schottischer Söldner unter Captain George Sinclair durch lokale Kräfte unter Führung des Bauernmädchens Prillar-Guri feiert. Das Gedicht ist von der Nationalromantik geprägt, wie überhaupt sein ganzes Werk: Bræger, 1774. Adskilligt paa Vers, 1775. Infødsretten, 1778. Gedicht in 4 Teilen; Fabler og Fortællinger i den Gellertske Smag, 1778. Samlede Digte, 1785.
Ob es auch zu den Lieblingsgedichten meiner Mutter gehörte, kann ich nicht mehr sagen, aber über sie gelangte dieses Gedicht in meinen Erinnerungsfundus, zusammen mit Hoffmann von Fallerslebens „Was ist des Deutschen Vaterland“ (c.f. Merget, S. 188-189 oder vielleicht sollte man Raabe folgen: Was ist des Negers Vaterland?/Ist’s Schillukland? Baggaraland?/Ist’s wo der Niger brausend geht?/Ist’s wo der Sand der Wüste weht?/O nein! nein! nein! usw.) und Heines „Romanzero“. Die beiden ersten erzeugten ein fröhliches Lachen bei uns allen. Nie konnte ich Gedichte memorieren, doch blieb die vorletzte Strophe bis heute in meinem Gedächtnis „Ei nogen levende Sjæl kom hjem, Som kunde sin Landsmand fortælle, Hvor farligt det er at besøge dem, Der boe blandt Norriges Fjelde.“ und der andere Refrain „Nein, nein, nein, des Deutschen Vaterland muss größer sein“, während „Nimmer wird sein Ruhm verhallen, ehen nicht die letzte Saite schnarrend losspringt von der letzten andalusischen Gitarre“ größeres Pathos und Rührung erzeugten, auch wenn 1960 bei der Ausfahrt aus Granada in Richtung Malaga das Schild „El souspiro del moro“ die goldenen Zinnen von Granada nicht wieder aufleuchten ließ. Dies drei Gedichte bildeten eine Art Trinität, in deren Gefolge vor allem weitere Heine-Gedichte auftauchten, einmal mehr pathetisch „Die zwei Grenadiere“ wegen der Bedeutung Napoleons für die Unabhängigkeit Norwegens nehme ich an, zum anderen vergnügt wenn der Teufel Vater und Mutter holen sollte, die „so grausam mir verbaten, sie zu schauen im Theater.“
Det Norske Selskab, gegründet 1772, war ein literarischer Club für norwegische Studenten in Kopenhagen. Schriftsteller, Dichter und Philosophen gehörten ihm an.
Sources: Stagg, Frank Noel, East Norway and its Frontier. London: George Allen & Unwin, Ltd. 1956. The same, The Heart of Norway. London: George Allen & Unwin, Ltd. 1953.

Aftenposten statt FAZ

Noch ein Hinweis zur Anglophilie aus Aftenposten vom 18.10. 2009, wo Hay on Wye konsequent Haye geschrieben und meiner Meinung nach zu erfreulich beschrieben wird. Dazu wird eine Liste der europäischen Buchstädte gegeben. Wenn ich sie hier wiederhole, dann in der Hoffnung, dass Haye der einzige Fehler ist.
Norwegen: Fjærland, Tvedestrand (in der letzteren Kleinstadt in Südnorwegen war ich vor dieser Zeit, und Bücher passen zu ihr)
Finland: Sysmä (????)
Großbritannien: Hay(e) on Wye, Wales; Dalmellington, Schottland; Wigtown, Schottland
Belgien: Redu; Damme (bereits von mir erwähnt)
Frankreich: Bécherel, Montolieu, Fontenoy la Joute
Niederlande: Bredevoort
Deutschland: Wünsdorf, Mühlbeck-Friederdorf (, wovon ich nur den erstgenannten Ort mit ziemlich großer Enttäuschung einmal in den neunziger Jahren besucht habe. Darauf gekommen bin ich durch das Berlin Antiquariat in der Zimmermannstraße, welches dort eine Filiale – oder das Hauptgeschäft? – aufgemacht hatte. Faszinierender waren die Bunkeranlagen, die an alte irische Wachtürme erinnerten – Verharmlosung im Sinne der mit Raketen verglichenen Minarete? Welch eine anachronistische Diachronie!)

Karamanlidika

Ich habe nicht nur diese Seite, sondern auch mich selbst jetzt über längere Zeit in Stich gelassen, was unter anderem an den weiteren Hochzeitsfeierlichkeiten Leylas lag, die auf Suada im Bosporus begangen wurden und von ihrem jüngsten Onkel organisiert worden waren. Manchmal werden die Dinge verdreht. Das an sich gute gebratene Fleisch des Hauptganges, welches aber dennoch eines Messers zum Zerteilen bedurfte, war auf eine Auberginencrême gebettet, die bei jedem versuchten Schnitt hervorquoll wie Zahnpasta oder Tomatenmark aus mehreren Tubenöffnungen. Als alter Mann, der ich bin, verkrümelte ich mich mit den Eltern des Bräutigams um Mitternacht, mit der Chance vor eben diesen in meinem „Gespräch“ mit dem Taxichauffeur mit meinen bescheidenen Türkischkenntnissen glänzen zu können, da dieser mir von seinem abgebrochenen Pharmaziestudium und den Französischkenntnissen eines seiner Brüder erzählte, der geglaubt hatte, er könne mit Englisch durch Frankreich kommen.
Rana folgte eine Stunde später mit ihrer ältesten Schwester, und dann ging der Spaß offensichtlich erst richtig los. Paula wurde kurz vor dem Dolmabahce-Palast gesichtet, obwohl sie in einem Stuhl ganz unschuldig schlief, es gab gewisse Chiasmen bei einigen Partnerschaften, und insgesamt wurde ziemlich gut getrunken, was bedeutete, dass angefangen mit mir am nächsten Tag zum Brunch niemand wirklich zu gebrauchen war.
Zwei Tage später fuhren Rana, Tugrul und ich mit dem Metro-Bus über Canakkale nach Geyikli und von dort mit der Fähre nach Bozcaada, nach Tenedos, von wo Apollon die Seeschlangen Porces und Chariboea sandte, die zunächst die Söhne, dann den ungläubigen Laokoon zerquetschten, den Anfang unserer ästhetischen Kultur. Heute sind es der Wein und die Tomatenmarmelade, die zusammen mit Angehörigen der gehobenen türkischen Mittelklasse und dem unglaublich schönen Badewasser noch den Charakter der Insel prägen, doch sind die Immobilienpreise bereits höher als am Bosporus, weil die Gerüchte besagen, dass Bozcaada und Gökceada demnächst als einzige offshore Orte in der Türkei eine Kasinolizenz erhalten werden.
Aber: Man kann auch in das Bozcaada Müzesi gehen in der Lale sokagi 7 im griechischen Viertel, das von M. Hakan Gürüney aus dem Istanbuler Stadtteil Fener gegründet und von ihm, seinem Bruder und Vater geführt wird. Nur der letztere war dort, als wir vorbeigingen und wegen Rana zwei Stunden blieben. Ich sah hier meine einzig mögliche Erinnerung an Tenedos wieder, die Beschießung der Burg durch die Venezianer aus dem von Franz Taeschner veröffentlichten Alt-Stambuler Hof- und Volksleben. Ein türkisches Minaturenalbum aus dem 17. Jahrhundert. Tafelband. Hannover: Orient-Buchhandlung Heinz Lafaire 1925, Tafel 14, das zu den Büchern gehörte, die ich als kleiner Junge auf dem Teppich internalisiert hatte. Von Hakan Gürüney gab es einige Veröffentlichungen, darunter Bozcaada Harita ve Gravürleri/Maps & Engravings of the Island Tenedos, sehr wohl ein wenig mehr als nur ein Coffeetable-book. Aber was habe ich schon mit Tenedos im Sinn, obwohl ich dort vor zehn Tagen das halbe Vergnügen meiner ersten Ohnmacht vor Hitze erlebte. Das Vergnügen war die Erfahrung einer Ohnmacht, das geringere, beim Erwachen den Sand hinter der Jandarma auf dem Kai im Rücken und von oben zwanzig unterschiedlich besorgte Augenpaare zu spüren. Doch da hatte ich mich schon entschlossen, mich nicht allzusehr auf die Insel einzulassen. Allerdings gab es in diesem Zusammenhang ein weiteres eigentlich für die heutige Gegenwart schon überraschendes Erlebnis mit türkischer, mediterraner Gastfreundschaft. Es kam die Ambulanz und brachte mich zum inseligen Notdienst, wo ich einschließlich Infusionen zwei Stunden ruhte und für meine Torheit, wie ein törichter Kartoffelsack zu Boden geglitten zu sein, nicht zur Kasse gebeten wurde – nach Berliner Maßstäben aus der jüngsten Vergangenheit eine Ersparnis von ca. 400 €.
Die eigentliche Inselanekdote jedoch ohne meine Beteiligung handelt vor allem von dem Fisch, den eine alte Frau 1874 auf einem defekten Ofen briet, was dazu führte, dass das ganze griechische Viertel trotz des heldenhaften Einsatzes britischer Truppen von einem im Hafen liegenden Kriegsschiff glücklicherweise ohne den Verlust von Menschenleben niederbrannte und als Klein-Chicago quadratisch von einem amerikanischen Architekten wieder aufgebaut wurde. Den Namen konnte mir der ältere Herr Gürüney nicht verraten, aber er korrigierte mich überaus energisch, als ich mit meinem begrenzten deutschen Bewusstsein für die Vielfalt und Differenziertheit ethnischer Termini von Türkler und Yunanlar stammelte. Das sind keine Ionier – was die Angelegenheit noch verwirrender macht, sondern sie sind Rum, byzantinische Griechen, also etwas ganz anderes – was auch immer, doch wurde Venizelos 1915 auf der Insel gefeiert. Im türkischen Viertel, sehr viel weniger quadratisch, gab es zwei Moscheen und einen Brunnen von ca. 1700, es gab aber auch die einzige Buchhandlung, wo man neben englischen, französischen und deutschen Paperbacks zu 2, 3 oder 5 TYL, geteilt durch zwei ergibt den €-Preis, den Ehrgeiz der Besitzerin (?), vom Typus her engagierte pensionierte Lehrerin, spürte, die Bevölkerung Bozcaadas dem lesenden Prozentsatz der türkischen Gesamtbevölkerung zuzuführen. Was ich mit meinem mangelhaften Türkisch – oder mit meinem Verstand nicht verstand, war, dass die in den Büchern angegebenen Preise ebenfalls geteilt wurden und ich auf diese Weise ein Büchlein für 7 TYL erwarb : Anagnostakis, Ilias und Evangelia Balta, La Découverte de la Cappadoce au dix-neuvième siècle. Traduit du grec par Bruno Dulibine. Istanbul: Eren (première édition) 1994 [ursprünglich griechisch Athen: Poreia 1990], immerhin in Istanbul veröffentlichbar, wenn auch in dem als Weltsprache rückläufigen Französisch, das die osmanische Elite im 19. Jahrhundert fraglos besser beherrschte als die meisten von uns heute. Ich kaufte es spontan aus Zuneigung zu unserem auf unsere alten Tage neu gewonnenen Freund, Pantelis, dessen Familie aus Nigde stammte und Opfer eines unseligen Bevölkerungsaustausches geworden war.
Glücklicherweise haben die Photos von Göreme/Kappadokien einen Erkennungsfaktor wie das Brandenburger Tor, die Freiheitsstatue, die Tower Bridge und der Kreml, auf jeden Fall einen höheren als der alte Holmenkollen, aber leider war ich nie physisch dort.
Das ungemein sympathische Bändchen handelt fast nur von der Selbstentdeckung mit volkskundlichen Mitteln des 19. Jahrhhunderts, so typisch vom Balkan bis Norwegen und einige Jahrzehnte später bis China. Und doch sind Bücher oft mit einem Fluch verbunden, als verschriebe man sich dem Teufel und könne nur mit List und Tücke entkommen. Ich denke, jetzt muss ich auch die in Fußnote 1 zu Seite 49 genannten Kataloge zur Kenntnis nehmen: „La bibliographie karamanlie compte jusqu’à présent 643 titres. S. Salaville – E. Dalleggio ont répertorié 333 titres jusqu’à l’année 1900 dans leur ouvrage de 3 volumes, Karamanlidika. Bibliographie analytique des ouvrages en langue turque imprimés en caractères grecs. Athènes, t. 1 (1958), t. II (1966), t. III (1974). Les autres 301 titres sont répertoriés par Evangelia Balta. 163 d’entre eux constituent des additions à la bibliographie de S. Salaville – E. Dalleggio (Evangelia Balta, Karamanlidika. Additions, 1584-1900, Athènes, 1987) et les autres 138 titres presentent la bibliographie karamanlie du 20e siècle (Evangelia Balta, Karamanlidika, XXe siècle, Athènes, 1987). 19 titres inconnus ont été repérés depuis et ils sont publiés par E. Balta dans Deltio KMS 8 (1990-1991), pp. 143-169.” Nicht nur die Menge der griechisch gedruckten türkischsprachigen Literatur, sondern auch ihre Vielfalt vom hier nicht erwähnten Robinson Crusoe über die Übersetzung 1909 von A.-D. Mordtmanns Die Belagerung und Eroberung Constantinopels durch die Türken im Jahre 1453, nach den originalen Quellen bearbeitet aus dem Jahre 1858 und das 1836 in Smyrna/Izmir herausgegebene Abrégé des diverses sciences, über Pilgerfahrten nach Jerusalem bis hin zu türkischen volkstümlichen Texten wie den Köroglu (Chikiagesi Kioroglou. Tasfirlerì vè tourkyoulerì ilé. Istambolda 1872 und sogar mehrsprachigen Ausgaben des Asik Garip (Chikiagegi Asik Garip. Tourkyouleràe ilè perapèr Mouáchchären ermenízeten lisáni roumigè poû defà tachsìs ilàn pasälmáestär. Istambolda 1872). Und da des Vergnügens kein Ende war, kann man auch von quasi-makkaronischer Dichtung sprechen (S. 67: mixovarvara), wenn in den türkischen Text von Festliedern die religiösen Standardformulierungen griechisch erscheinen. Etwas Ähnliches ist der türkische Refrain in Liedern der walachischen und albanischen Bevölkerung auf dem Balkan.
An den beiden letzten Tagen in Istanbul las ich – oder nur in? – Saad, Lamec, Sechzehn Jahre als Quarantänearzt in der Türkei. Berlin: Dietrich Reimer (Ernst Vohsen) 1913 – nach einer Angabe im Internet ein christlicher Palästinenser, der für Cloppenburg optiert hatte. Er erwähnt auf S. 72 im Jahre 1882 aus dem Irak, dass die Juden das Arabische mit Hebräischen Buchstaben schreiben. Anekdotisch netter aber ist, wenn er auf S. 32 berichtet, dass er sich am 30.10.1881 u.a. zusammen mit Ajvazovskij auf dem schlechtest denkbaren Schiff, der russischen „Nachimov“ einschiffte, als der letztere auf dem Wege nach Athen war, um sein Gemälde von Lepanto zu vollenden. Dagegen sind seine Angaben zur armenischen Theatergruppe in Diyabakir am 6.12.1881, die angeblich zum ersten Mal Theater in Diyabakir aufführte, zu vague. Nur mit dem „Gesang aus ‚Madame Angot‘“ lässt sich ein wenig anfangen. Und lesen konnte ich Saad, weil ich zwei Tage lang fast ausschließlich vor einem Ventilator hockte, um meine Körpertemperatur eingermaßen niedrig zu halten, unterbrochen nur durch einen Besuch in dem diskret touristisch aufgemachten Restaurant Asitane nahe der Kariye Camii. Dort aß ich als Hauptgericht 27. Tuffahiye – Elma Dolması (XV. y.y.) (Vejeteryan) Bulgur, kapya biber, kereviz sapı ve soğan ile doldurulup fırınlanmış elma dolması. Zencefilli elma asidesinde pişmiş arpacık soğanla servis edilir und war als einziger von uns uneingeschränkt zufrieden, allein schon deshalb, weil ich so hoffe, die Speisekarte von Jens zu erweitern.