Dienstag, 5. Februar 2013

Nikotin



Hens, Gregor, Nikotin. Fankfurt am Main: S. Fischer 2011, ein Büchlein, nicht zerlesen und auch nicht dafür verfügbar, da nicht mir gehörend.
http://www.perlentaucher.de/buch/gregor-hens/nikotin.html. Warum sich dann noch äußern? Die Rezensenten bescheinigen, ohne sich zu überschlagen dem Autor Witz und Intelligenz. Meine Tochter, die als Raucherin mir als fast ehemaligem Raucher das Büchlein aus eben diesen Gründen empfahl, wird mir verzeihen, dass ich die Intelligenz trotz Rauchens bestätige, den Witz vergeblich gesucht habe, vielleicht, weil Rauchen nicht eigentlich witzig ist. Bei Svevo ist manches witzig, und wenn es seine Eindrücke von London sind.
Fünf scheint ein geeignetes Initiationsjahr zu sein, ich glaube dies trifft auch für mich zu, vielleicht war ich aber doch schon sechs, als ich Herrn Stanke die Pfeife mit selbstgezogenem Tabak stopfen und sie überdies noch entzünden durfte. Herr Stanke war mit Gartenarbeit beschäftigt, aber es war wohl nicht der warme Sommertag, an dem er eine Kreuzotter mit dem Spaten köpfte, und konnte seine Pfeife nicht übernehmen. Zur Strafe musste er wenig später auf dem Wege nach Detmold mehrfach anhalten, damit ich mich ebenso mehrfach übergeben konnte. Heilsam war diese Lehre nicht, da ich offensichtlich genetisch vorbelastet war und bin, allerdings habe ich es nie geschafft, in eine Kloschüssel hinein zu rauchen und wurde stattdessen, mit ungefähr achtzehn, ohne Schuldbewusstsein zum Direktor Neunheuser zitiert und belehrt: „Ein Schüler des Görresgymnasiums raucht nicht auf der Straße.“ Darauf folgte eine recht eitle Phase, deren Beschreibung ich mir jedoch erspare. Dazu gehörten allerdings recht regelmäßige Besuche in einem Tabakgeschäft auf der Breite Straße, wo ich mir alles mögliche empfehlen ließ, zwei Pfeifen, die ich nie richtig einrauchte, Tabak, den ich vergessen habe, wenn man davon absieht, dass ich als Beimischung auch gepressten Latakia erwarb – und, um mich von der Pfeife zu erholen Zigaretten der Marken Gold Flake oder Senior Service, für meine Mutter entweder die Benson & Hedges in der roten Blechdose oder vielfarbige Damenzigaretten, deren Namen ich ebenfalls vergessen habe, die vielleicht so etwas wie „Aroma“ hießen. Wenn man davon absieht, dass ich gelegentlich Players von meinem Vater schnorrte, denen David Garnett 1925 mit The Sailor’s return ein in der Größe angemessenes Denkmal erschrieb, gelangte ich recht früh und schnell nach den die Finger bräunenden Will’s Woodbine und den Austria 3ern, beide in neutraler leicht grünlicher Verpackung, zu meiner Standardsorte, den filterlosen Roth-Händle, die mit Vergnügen gelegentlich gegen Gitanes eingetauscht wurden. Die spanischen Celtas und italienischen Nazionali hätten mich, wäre ich jeweils länger in ihren Ländern geblieben, ziemlich sicher vom Rauchen entwöhnen können, nicht aber die griechischen Korona, die erstens rund und nicht flachgedrückt waren und, glaube ich, 1960 zehn Drachmen die Schachtel kosteten, für griechische Verhältnisse damals eine eher teure Marke. Vielleicht wegen der Gesellschaft habe ich diese Marke in aller bester Erinnerung. Mein schönstes Zigarettenerlebnis hatte ich aber im Sommer 1984 in der Türkei, genauer in Erzurum. Als eifriger Bafra-Raucher, damals etwas mehr als 1 Pfennig das Stück, bekam ich diese nicht im fernen Osten der Türkei, dafür aber eine ähnlich billige Sorte, die filterlose Bitlis. Einen milderen – und mir fehlen die Worte – erfrischenderen Tabak habe ich nie geraucht, und wie enttäuscht war ich, als es dann wenig später in der ganzen Türkei eine elegant aufgemachte Filterzigarette mit diesem Namen gab, weiter ging die Ähnlichkeit nicht. Dafür schwärmen aber viele türkische Selbstdreher bzw. alle, die ich kenne, heute für den Bitlis-Tabak. Die Türkei war übrigens abgesehen von anderen Dingen, auch für Raucher geographisch ein gefährliches Pflaster. Mein Vater wurde dort mit gut fünfundzwanzig Jahren zu einem späten Großraucher, weil seine rauchenden deutschen Begleiter ihr Vergnügen aus der gemeinsamen Reisekasse befriedigten.
Durch die Studentenjahre habe ich mich mit Hilfe vieler tausender Schwarzer Krauser-Zigaretten gerettet, gegen Ende des Monats hergestellt aus aufbewahrten Kippen, aber ich lebe immer noch. Über Zigaretten ließe sich endlos, doch abgesehen von der angenehmen Selbstbefriedigung kaum leichtfertig amüsant schreiben, über den unberechenbaren Funkenflug und den in seinen Konsequenzen berechenbaren Schlaf mit einer brennenden Zigarette ausgerechnet im bereits erwähnten Griechenland.
Es gibt überwiegend schöne Erinnerungen ans Rauchen, auch wenn ich immer eher Zigaretten als Pfeife oder Zigarre rauchte. Nach Aussagen meines Klassenlehrers am Görresgymnasium, der gelegentlich Zigarre rauchte, der die Welt immer wieder in Ordnung bringen wollte und den leicht asymetrischen „schiefen“ Turm der Lamberti Kirche aus seiner geordneten Dürener Perspektive als Zeichen Düsseldorfer Unordnung interpretierte, rauchten nur Sozis Zigaretten, Konservative Zigarren und Pfeife die Liberalen, und er übersah dabei die unpolitischen Bürger.
Das war eine lange Abschweifung hin zu einer eigentlich intendierten hommage an Paul Ingendaay, dessen Beiträge in der FAZ und nicht nur aus Spanien und vom spanischen Fußball, sondern auch in der seltenen Literaturbeilage, mir fast ausnahmslos Vergnügen bereiten. Vor einigen Monaten  oder doch Jahren ? (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/2.1781/im-katholischen-internat-die-stille-hinter-den-mauern-1970449.html), damals mir der Bedeutung noch nicht klar, schrieb mit Assoziationen in Richtung Odenwaldschule Paul Ingendaay über sein eigenes Internat (Das Collegium Augustinianum Gaesdonck ist ein staatlich anerkanntes bischöfliches Gymnasium des Bistums Münster mit Internat für katholische Mädchen und Jungen. Es liegt am Niederrhein (bei Goch, im Kreis Kleve) und wird seit über 150 Jahren mit der Bildung und Ausbildung junger Menschen betraut. http://de.wikipedia.org/wiki/Collegium_Augustinianum_Gaesdonck) spannungsreich genug, aber doch diskret und um so lohnender. Auf diese Weise kenne ich jetzt zwei Namen aus der langen Liste berühmter Schüler dieser Schule.