Montag, 26. November 2012

Eigentlich nicht der Rede wert



Es fällt mir schwer, eine richtige Vokabel dafür zu finden, dass mir manche Bücher nur noch im Wege sind. Zu viele Verben finden sich im Wörterbuch des Unmenschen, als dass man sie unbefangen benutzen könnte, obwohl das Unheil spätestens schon im dritten vorchristlichen Jahrhundert begonnen hat. Meine Wortwahl des „Zerlesens“ hat unterbewusst etwas mit der Sentenz des Großvaters in „Zimt und Koriander“ zu tun. In zerlesen findet sich auch erlesen, und erlesen bedeutet nicht nur, dass man gut ausgewählt hat, sondern auch eine Aneignung eines Textes und so weiter und so fort, zerlesen auch die Konsumtion eines Textes als physischer Akt unter Einsatz der verschiedenen Mundwerkzeuge.
Diese Ehre möchte ich von Klass, Gert [1892-], Die Liebe des Leutnants Wartenstein. Roman. Mit 20 Zeichnungen von Hans Meid [, über den sich übrigens mehr erfahren lässt als über den Autor, u.a. http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Meid (aufgerufen 26.11.2012)] . Berlin: Propyläen 1940 (13. – 32. Tausend). 189 S. nicht zukommen lassen. Auf dem Vorsatzblatt steht in ihrer Handschrift der Name einer meiner norwegischen Tanten mit der zusätzlichen Bemerkung, dass es ein Geschenk meiner Eltern sei, ein Geschenk, das übrigens ab € 1,00 (zuzüglich Porto € 2,20) heute im Internet zu erwerben ist. Manche verlangen auch mehr, aber höchstens das Zehnfache und preisen ein Sammlerstück an. Was das denn sein mag.
Gewidmet ist das Buch „Dem Gedächtnis meiner im großen Krieg gefallenen Kameraden“. Seine Protagonisten gehören dem gehobenen spartanischen preußischen Militär (Jörg von Wartenstein), dem bayerischen Adel (Manfred von Löwenfels) und dem erfolgreichen bayerischen Unternehmertum (Maria von Thuregg) an. Einerseits erhebt uns die höhere Gesellschaft zu höheren Gefilden, andererseits erfahren wir, dass die höhere Gesellschaft unter ebensolchen Seelenhöllenqualen leiden kann wie wir bzw. wie der Gefreite Wichert, dessen ungenannte große Liebe in der Heimat ihn sitzen lässt. Er kommt um. Umkommen tun auch die beiden männlichen Helden mehr oder weniger freiwillig, während die Heldin im Dunkel der Geschichte verschwindet. Bereits auf Seite 21 wird übrigens die Entwicklung hin zu einer unmöglichen ménage à trois klar, etwas, was, wenn man in der richtigen Stimmung ist, mit einem aufgesetzt herben (preußisches Militär) folgenden süßlichen Text befriedigen kann. Es handelt sich also um ein Buch, das man auf dem Flohmarkt in ein Gebinde mit neun weiteren steckt und als Teil einer Wundertüte für insgesamt 10 € anbietet (andere werden aus verschiedenen Gründen folgen)
Gert von Klass zumindest als Laie zu eruieren scheint nur fragmentarisch möglich, obwohl seine Produktion quantitativ alles andere als bescheiden ist. So erfährt man, dass er 1934 ein Hörspiel Wendelin Hippler veröffentlichte, das Schwamberger, Johannes, Die Entwicklungssgeschichte des Hörspiels. Grin Verlag 2004, S. 39 als Hörspiel mit Blut und Boden Charakter bezeichnet [http://books.google.de/books?id=IwEn3oZl9XgC&pg=PA39&lpg=PA39&dq=gert+von+klass,+h%C3%B6rspiel,+blut+und+boden&source=bl&ots=XfNzN1zGo9&sig=YoBiEFI9EL2b7t9JfkG9PO7JKwc&hl=de&sa=X&ei=bQeyUISzD8m0tAaVpIH4DQ&ved=0CD4Q6AEwAA#v=onepage&q=gert%20von%20klass%2C%20h%C3%B6rspiel%2C%20blut%20und%20boden&f=false (aufgerufen 25.11.2012)]. Obwohl es in Stuttgart eine Wendelin Hippler Straße gibt, ist auch dieser Name für mich als Laien schwer zuzuordnen. Er scheint so etwas wie ein schwäbischer reformatorischer ikonoklastischer Bauernführer in der Reformationszeit gewesen zu sein.
Nach dem Kriege hat sich von Klass besonders als Autor von Unternehmensgeschichten bzw. Unternehmerbiographien hervorgetan, die offensichtlich insgesamt als zu unkritisch bzw. als bezahlte Gefälligkeitsarbeiten angesehen werden. (Der Spiegel 1959:8; Priemel, Kim Christian, „Gekaufte Geschichte : der "Freundeskreis Albert Vögler", Gert von Klass und die Entwicklung der historischen Unternehmerforschung nach 1945“, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 52.2007:2, 177-202; dagegen eine positive Kurzrezension zu einem der „Krupp-bände“ in: Ostpreußenblatt 12.1961:47, 3)

Sonntag, 18. November 2012

Vernissage



Vorvorgestern war ich zur Eröffnung einer Photoausstellung (Sammlung Bogomir Ecker) im Museum für Fotografie in der Jebensstraße 2. Eigentlich war das Wetter viel zu kalt, um sich hinauszuwagen, aber die direkte Zufahrt mit der U 9 war zu verführerisch. Außer uns hatten sich etwa fünfzig Personen – photographisch Interessierte oder sogar Kenner, Leute, die immer gehen und solche, die wie ich ihr Fernsehprogramm erweitern wollten – eingefunden. Allerdings hätte die Ausstellung nur Ersatz für das öffentlich-rechtliche Samstagsprogramm gewährt, und es war nun mal Donnerstag, der konventionelle für den Wechsel des Kinoprogramms eigentlich vorgesehene Eröffnungstag. Und wir wissen jetzt, dass es ein solches Museum gibt.
Empfangen wird man im Foyer von vier wohl Newton’schen Ganzakten, recht unerotisch in Übergröße und säkularer als die Dürerschen Apostelbilder, begrüßt wurden wir nach einem akademischen Viertel Wartezeit auf halber Höhe der geschwungenen Freitreppe von drei sogenannten Einführungsvorträgen, die abgesehen von ihrer wohltuenden Kürze trotz eines „photographischen Weltauges“ die uninformativsten waren, die ich, glaube ich, je gehört habe. Sie machten alle drei ganz überwiegend Werbung für den Katalog zu € 42.
Dann wurde für uns das oberste Stockwerk freigegeben, wo wir den Dialog einer übergroßen eingefärbten Marshmellow-Plastik mit den Photographien an den Wänden, die dort unter dem Motto „Idylle und Desaster“ aufgehängt worden waren, erleben sollten. Meine Altersschwerhörigkeit hinderte mich daran, den Dialog zu hören. Die Idylle sollte u.a. wohl durch Photos norwegischer Wasserfälle, die ich ein halbes Jahrhundert später leibhaftig und häufg sah, von einem Knud Knudsen vertreten werden, das Desaster waren Photos aus dem amerikanischen kriminellen Leben, offensichtlich Polizei- und Pressephotos ungefähr von 1940 bis 1960. Das hätte für sich genommen eine eindrucksvolle und überschaubare Ausstellung werden können, die man immer noch unter mehreren Aspekten hätte betrachten können, u.a. dem der professionellen Auftragsphotographie oder der Verwerfungen der amerikanischen Soziokultur. Schade war es drum, und so ließ ich mich auf einer der wenigen Sitzgelegenheiten nieder, bestarrte einen photographierten Wetterballon und registrierte die weitestgehend fehlende Mode der Besucher. Und woher hatten ein paar junge Besucher am Ende vor der Tür das Flaschenbier?