Samstag, 28. September 2013

Ein bisschen David Garnett



Gestern wäre ich fast an Selbstbewunderung und Zufriedenheit mit mir selbst gestorben. Unsere Tochter kam vorbei und erzählte anekd[eutscher]o[rientalisten]t[ag]isches und fragte mich bezüglich eines Vortrags über Lemnisch, was das wohl sei. Vor dem Googlen meinte ich, es müsse mit Lemnos zusammenhängen, vielleicht wäre es ein mir unbekanntes griechisch-türkisches Creolisch, oder Griechisch mit einem semitischen Substrat. Der geographische Volltreffer, d.h. die zu 10% richtige Antwort, entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit in meiner Vorstellung zu einem Hauptgewinn. Und wenn ich mich in griechischen Dialekten auskennen würde, dann könnte ich darüber raisonieren, ob die Grafitti der makedonischen Soldaten Alexanders des Großen in den Höhlen von Antiparos den parischen Dialekt bis zu welchem Grade beeinflusst haben. Und ich geriet ins Grübeln, wie der Dialekt der Insel Kos vor Bodrum genannt werden würde, nach den sonstigen Bildungsregeln wohl „k-isch“, aber – dann doch karisch?
Tatsächlich befand ich mich gestern ganz überwiegend in der Horizontale und meine Einfälle purzelten vom Bett und hüpften wie Hartgummikugeln unkontrollierbar durchs Zimmer. Und das Ganze begann vor einigen Tagen mit T.E. Lawrence und meinen Bücherentsorgungsmaßnahmen, T.E. Lawrence, Selbstbildnis in Briefen. Herausgegeben von David Garnett, Deutsch von Hans Rothe, München / Leipzig: Paul List Verlag 1948, welches ich mit großem Interesse bis etwa zur Hälfte, so um Seite 250 herum, las, um es dann meinem Schwiegersohn mit einer dicken Empfehlung in die Hand zu drücken, obwohl ich T.E. Lawrence nicht einmal in seiner Rolle als Peter O’Toole mag. Es waren die syrischen Burgen. Aber viel mehr noch war es, dass ich nicht ergooglen konnte, warum E.M. Forster den Auftrag zur Herausgabe dieses Bandes zurückgegeben hatte. Auch mein einer gewissen Anglophilie zu verdankender Fundus an Gedrucktem noch nicht Entsorgtem – merkwürdig bei diesem Wort fallen mir dann nicht so ganz passend Herrn Luckes Entartungen des Parlamentarismus ein, was dann um einige Ecken vielleicht doch mit der Entsorgung des Entarteten zu tun hat – half mir nicht weiter, und ich begann in der Autobiographie David Garnetts zu blättern, deren erste zwei Bände ich vor mehr als fünfzig Jahren erworben haben muss. Ein Datum ante quem ist das Erscheinungsjahr des dritten Bandes 1962, den ich eben nicht besitze. Zuerst hatte ich den Eindruck, David Garnett, dessen eleganten gemäßigt skurrilen Kurzromane „Lady into fox/Meine Frau die Füchsin“ und „A man in the zoo/ Der Mann im Zoo“ 1922 im Rororo-Bändchen Nummer 51 in der Übersetzung von Hans Reisiger bzw. Maria von Schweinitz vereint und veröffentlicht worden waren, fröhne in den beiden Bänden „The golden echo“ London: Chatto & Windus 1954 und „The flowers of the forest“ London: Chatto & Windus 1955 dem literarischen Genre der Liste mit allzu vielen Namen vor allem aus der Bloomsbury-côterie und wollte ihn schon bald, u.a. weil ich nur die Hälfte der Namen wiedererkannte, gelangweilt beiseite legen, doch bin ich froh, nicht nur wegen der Labour-Intellektuellen, sondern auch wegen der russischen Bezüge wieder hineingesehen zu haben, am meisten vielleicht, weil ich bereits auf S. IX des ersten Bandes „Intimations of Mortality by Way of Preface“ einem der subtilsten agnostischen Zitate begegnete: „Yet meet we shall, and part, and meet again / Where dead men meet, on lips of living men.“
(Samuel Butler, The Note-Books of Samuel Butler cf. ftp://pandemonium.tiscali.de/pub/gutenberg/etext04/nbsb10h.htm (per exemple) Überdies fand ich auch einiges über die spezielle Beziehung von T.E. Lawrence zu E.M. Forster.

Die Hartgummikugeln sprangen immer eifriger über den Zimmerboden. Meine Mutter war gewiss gottgläubig, aber in der Tradition ihrer Mutter wiederum eine energische Hasserin kirchlicher Organisiertheit. Und dennoch war viele Jahre ihr wichtigstes mystisches Erlebnis die Karwoche im Straßburger Münster, die sie offensichtlich 1926 als junge Frau Anfang zwanzig durchlebt hatte, vielleicht mit Abstechern in die Thomaskirche zum Grabmal des Maréchal du Saxe. Dieses Erlebnis wirkte bis zum Ende der fünfziger Jahre nach, als sie Gelegenheit bekam, den Vormittag kniend in der Altarnische des Hauptturmes von Ronchamp zu verbringen, in der man einen Zipfel der unendlichen Wölbung des Himmels ergreifen kann. Ich glaube mich zu erinnern, dass sie dies etwa die nächsten zwei bis drei Jahrzehnte alle fünf Jahre für ihr Seelenheil wiederholte, und es ihr genügte. Ich bin sicher die Formulierung Butlers hätte sie gefesselt, und, was Ronchamp anbelangt, bin ich ihr in noch größeren Abständen gefolgt, zuletzt vor vier Jahren.
Und natürlich hatte sie in ihrem unerschöpflichen Bündel von Gedichten und Gedichtfetzen hinreichend Belege einmal für die vanitas unseres Lebens. Wo aber steht bei Benjamin Disraeli, wenn auch offensichtlich von ihm: „What is it, Life? – a little strife, where victories are vain, where those who conquer do not win nor those receive who gain.“?
Den entsprechenden Trost fand sie bei Heinrich Heine im 20. Kapitel des Romanzero:
(...)
„Boabdil el Chico,“sprach sie,
„Tröste dich, mein Heißgeliebter,
Aus dem Abgrund deines Elends
Blüht hervor ein schöner Lorbeer.
„Nicht allein der Triumphator,
Nicht allein der sieggekrönte
Günstling jener blinden Göttin,
Auch der blutge Sohn des Unglücks,
„Auch der heldenmütge Kämpfer,
Der dem ungeheuren Schicksal
Unterlag, wird ewig leben
In der Menschen Angedenken.“
(...)
Nimmer wird sein Ruhm verhallen,
Ehe nicht die letzte Saite
Schnarrend losspringt von der letzten
Andalusischen Gitarre.

Und dann gabe es noch die Verse 76 und 77 aus dem Håvamål:
76.
Døyr fe;
døyr frendar;
døyr sjølv det same.
Men ordet om deg
aldri døyr
vinn du eit gjetord gjævt.

77.
Døyr fe;
døyr frendar;
døyr sjølv det same.
Eg veit eitt
som aldri døyr,
dom om daudan kvar,
während sie den deutschen Stabreim in Vers 76 über „der Toten Tatenruhm“ als anmaßendes und verlogenes Pathos empfand und viel zu eng fand.
Ein weiteres waren die trostreichen dänischen Worte, als 1710 in der Bucht von Køge das Schiff Huitfeldts „fløy dit hvorfra flagget kom.“ (Jacob Breda Bull) oder eben , was ich nur noch vague erinnere: „da kan jeg kun svare, det har ingen fare, de kommer jo hyllet i Dannebrog“, wenn man eigentlich über ihren Tod weinen wollte.
Dann ließ ich mich wieder ablenken und kehrte lose zu David Garnett zurück, weil ich mich zu erinnern meinte, ich könne „The sailor’s return“ von 1925 mit der Zigarettenmarke Player’s Navy Cut in Verbindung bringen.


Donnerstag, 5. September 2013

Maurice Edelman



Maurice Edelman (1911-1975)

Während der Bereinigung – kein Unmenschenwort? – las ich von diesem, der im Internet etwas kurze, aber eigentlich ganz sympathische Erwähnung findet – Labourabgeordneter für verschiedene Coventry constituencies und Autor – den Roman Who goes home?, deutsch Der Minister, einen eher schwachen Roman, wenn man von Oppositionsführer (Labour) Morgan absieht, der eine Äußerung tat, die die Geheimdienstaktivitäten unserer Tage erhellt (Zitat, S. 146 der deutschen Überrsetzung):
„Ich sagte: ‚Mr. Curtis, wir sind hierzulande keine politischen Halsabschneider. Wir gewinnen unsere Debatten auch nicht dadurch, daß wir unsere Gegner besudeln und mit Dreck bewerfen, bis sie sich, aus Furcht vor dem Licht des Tages, in ihre Löcher verkriechen!‘ « Er verfiel in Deklamationston.» ‚Wir verurteilen einen Mann nicht darum, weil er einmal einem Verbrecher in die Hände geraten ist. Wir erklären ihn auch nicht einer zweifelhaften persönlichen Verbindung wegen für schuldig. Wir stellen auch keine Detektive an, den Ministern derr Krone nachzuspionieren. Wir hören auch, wnn wir an der Macht sind, fremde Telefongespräche nicht ab. Wir haben keinen Sonderfonds für Spionage, Bestechung und Erpressung. Wo wir Amklage zu erheben haben, tzun wir’s öffenrtlich, in der Presse, vor Gericht oder im Parlament. In der Öffentlichkeit scheiden wir aus, was an unserem politischen Leben gesundheitswidrig ist. In der Öffentlichkeit nehmen wir unsere politische Katharsis vor.‘ «
Fast scheint es, als habe Herr Edelman dies aus Überzeugung geschrieben.

Samstag, 10. August 2013

Hendrik van Bergh




Hendrik van Bergh

Inzwischen habe ich die Gelegenheit ergriffen, auch einen Krankenhausaufenthalt dazu zu nutzen, zur Entsorgung vorgesehene Bücher zu lesen bzw. abzuhaken. Dazu gehören die Botschafter des Papstes, ein Buch, von dem ich nicht weiß, wie es überhaupt in meinen Besitz gelangt ist. Vielleicht in einem Anfall von Schwachsinn in Vorinternetzeiten erramscht? An keiner Stelle kann ich erkennen, dass es einmal eine Versuchung bedeutet haben könnte Erst die Lektüre erweiterte meinen Wortschatz um ein Wort, die Concubinarii und meine Geschichtskenntnisse um Gebhardt Truchsess von Waldburg, den 72. Erzbischof von Köln, nicht aber wie eine Internetbemerkung behauptet um die Nuntii des 20. Jahrhunderts, auch wenn ich in dem Alter bin, in dem mir der Name Eugenio Pacelli nicht nur wegen Rolf Hochhuth noch geläufig ist. Im Gegenteil schwelgt der Autor in den Jahren um 1600, da es dazu offensichtlich einen überschaubaren Fundus an solider Historiographie gibt.
Anfang der neunziger Jahre erzählte mir ein sehr guter Freund, dass er ein altes Buch gelesen habe. Von wann? Von 1984. Obwohl von all den unten aufgeführten Publikationen van Berghs ich allein die Botschafter... gelesen habe, wage ich doch zu behaupten, dass die anderen ähnlich gestrickt sein werden, schnell, allzu schnell geschrieben, so dass viele Daten nicht nachgeprüft werden können, viele irrelevante, aber störende Schreib-/Tipp-/Setzfehler erscheinen.
Dennoch sind solche Bücher nicht ganz ohne Verdienst, auch wenn das Gelesene nicht die Aufmerksamkeit des Papstes Johannes Paul II. verdient hat. Es sind Sachbücher, die ganz schnell eine kurze Neugier befriedigen, ein wenig den MacDonald-Produkten des Buchwesens ähneln, frisch, aber von allzu kurzer Lebensdauer. Abgesehen von der Momentaufnahme bloße Verschwendung. Also tatsächlich und ohne Trauer entsorgbar.
Es folgt eine Liste der van Bergh’schen Publikationen, die, fürchte ich, nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Sie ist aus dem Internet zusammengeklaubt, doch zeigen die Titel nach meiner Überzeugung, was ich meine.