Samstag, 6. April 2013

Pierre la Mure



Noch ein Text, published as a Signet Book.
Bücher wegwerfen geschieht offensichtlich in extremer Zeitlupe. Was die Ausgabe als Signet Buch anbelangt, so handelt es sich um die Fifth Printing vom Januar 1954 der First Printing vom Februar 1952 des ursprünglich bei Random House 1950 erschienenen biographischen Romans Moulin Rouge. A novel based on the life of Henri de Toulouse-Lautrec (#921A and B) von Pierre La Mure (Lamure), über den man durch Google genug, aber nicht exzessiv viel erfährt.
Zu Erstausgaben, einmal sogar mit Namenszug des Autors für 300 $ siehe
1953 oder 1954 – ich glaube das erste Jahr ist das Richtige – war ich mit meinen Eltern in München und wie immer wohnten wir in einem Mittelklassehotel Namens Hotel Leopold am Ende der Leopoldstraße. Erinnern kann ich mich an das damals übliche deutsche Hotelfrühstück, ein Kännchen Kaffe (2 Tassen), zwei eher pappige Brötchen und dazu Marmelade. Viel einschneidender war aber die Entscheidung meiner Eltern, am Abend ins Kino zu gehen und uns Kinder mitzunehmen. Mit zwölf oder dreizehn Jahren machte ich mich vor Scham immer kleiner, obwohl oder weil man mich in einen Film ab sechzehn mitnahm und hineinließ. Deshalb habe ich Moulin Rouge mit dem beeindruckenden, auf den Knien humpelnden José Ferrer nie vergessen.
Moulin Rouge gehört zu den Signet Double Volumes. Complete and Unabridged – Only 50 cents each, eine Kategorie von Büchern, in denen auf keinen Fall der Satz stehen könnte: „A Dover edition designed for years of use. Der Moulin Rouge-Band hat zwar seit 1954 mehrere Umzüge hinter sich gebracht, aber zum Lesen wurde er gewiss seit weit mehr als 50 Jahren nicht mehr geöffnet. Beim jetzigen Lesen bröselten mir die Seiten entgegen wie die von Veröffentlichungen aus der zweiten Hälfte des 19. Jhs., und in ganz großen Teilen ist er zu einer Lose-Blatt-Sammlung geworden.
Von den anderen Autoren, die in Double Volumes auf der letzten Seite angepriesen werden, habe ich den Louis Bromfieldschen Regen in einer Bertelsmann-Buchclub-Ausgabe, The Naked and the Dead von Norman Mailer eben als Signet Buch tatsächlich gelesen und nicht ganz vergessen. Referieren und diskutieren könnte ich sie nicht mehr. Mit dem Namen Robert Penn Warren (World enough and time) kann ich hausieren gehen, aber nur eben so. Gar nicht kenne ich Leonard Bishop (Down all your streets), Ralph Ellison (Invisible man), James T. Farrell (No star is lost; Father and son; A world I never made), Thomas Merton (The seven storey mountain), Willard Motley (We fished all night; Knock on any door) und William Styron (Lie down in darkness).
Eine Seite davor, auf der vorletzten Seite werden einige Signet Giants aufgelistet die zum Preis von „only 35 cents each“ angeboten werden und beweisen, dass auch Gigantismus eine Frage des Standpunkts ist. Meine Namenskenntnis der Autoren der Giants ist größer, aber gelesen habe ich nur die beiden D.H. Lawrence Bände (Sons and lovers; Lady Chatterley’s lover), von William Faulkner (Sartoris), Alberto Moravia (The woman of Rome; The conformist) und Erich Maria Remarque (Spark of life) und schließlich Louis Bromfield(The green bay tree) kenne ich andere Arbeiten. Bei Irwin Shaw (The troubled air) könnte ich mich vielleicht ans name-dropping wagen, die anderen, nämlich Warren Leslie (The best thing that ever happened), Vincent Sheean (Rage of the soul), Lillian Smith (Strange fruit), Calder Willingham (Natural child), Maritta Wolff (Back in town) und schließlich einmal mehr James T. Farrell (Jugdment day) wecken keine Erinnerungen.
Auf der Rückseite des Vorsatzblattes – auf der Vorderseite steht u.a.: „This is the astonishing bestseller from which the great motion picture Moulin Rouge was made. If you enjoyed the picture, don’t miss reading this book!“ – werden fünf other Signet novels you’ll enjoy. Only 25 cents each – aufgelistet. Die Hälfte des Colette-Bandes, nämlich Gigi habe ich als rororo-Bändchen gelesen, ebenso H.C. Branner (The Mistress [The riding master] in der gleichen Form, vielleicht auch den Georges Simenon (Four days in a lifetime), doch von ihm ist mir nur Maigret, eine bessere Tatort-Qualität und wohl Jean Gabin in der Erinnerung geblieben. Nicht kenne ich von der Colette Julie de Carneilhan, und ob ich überhaupt John O’Hara (Appointment in Samarra) und Vasco Prattolini (The naked streets) begegnet bin, möchte ich bezweifeln. Grundsätzlich ähnelt diese gedruckte Halbwerbung dem Usus von Amazon u.a.: „Wenn ..., dann können auch die folgenden Bücher für Sie von Interesse sein.“
Der Vorteil des La Mure-Buches ist, auch wenn man die spezifische Lektüre längst vergessen hat, der hohe Wiedererkennungswert wegen der Hauptperson. Insofern hat man ein solches Buch immer schon gelesen und behalten. Was übrig bleibt, ist die Frage des Laien, ob es etwas taugt, etwa nicht, weil es wohl doch in sechzig Jahren etwas an Popularität eingebüßt hat und von allzu freien filmischen Adaptionen mit Nicole Kidman verfremdet worden ist. Ich habe es jetzt in etwa vier Sitzungen gelesen, zunächst, um nicht unwissend etwas wegzuwerfen, dann aber mit immer größerer Sympathie für die kluge Professionalität von Autor und Objekt. Und schließlich habe ich über den letzten zwanzig Seiten zwar nicht wie der bekannte Schlosshund geheult, aber voller Rührung, Trauer und einem schon fast peinlichen Identifikationsgefühl einen überwältigenden Klumpen in der Magengegend gespürt, der sich aufreizend im ganzen Oberkörper ausbreitete. Widerstrebend gelang es mir, mich kurz vor dem Ende auf Seite 510 davon zu befreien.
Dann allerdings fing ich an, die weiteren Erinnerungen zu rekapitulieren. Ich denke noch 1954 kaufte ein Elternteil für DM 22,50 (nicht alle, aber die meisten antiquarischen Angebote liegen faktisch weit und nominell leicht darunter – am 5. März fanden sich eine Reihe von Angeboten im Internet meist in der Höhe von € 8,99) den Lautrec-Band aus der Reihe „Der Geschmack unserer Zeit. Sammlung, begründet und herausgegeben von Albert Skira. Lassaigne, Jacques, Biographisch - kritische Studie. Übersetzt von Hans Feuz. Dieses in die Hand nehmend hatte ich ein zusätzliches Vergnügen, mich über ein Internet-Angebot „im Originalschuber“ zu amüsieren, da es sich dabei um eine Papphülle ohne jegliche individuelle Markierung handelt, in meinem Falle aber die Überraschung von zwei als solchen nichtssagenden, aber da mein Vater seiner Gewohnheit gemäß die Briefmarken herausgerissen hatte, sehr persönlichen Postkarten barg, datiert 15.7.1954 von einer nebensächlichen Kindheitserinnerung, nämlich von dem Turkestaner Amin Berdimurat – man kann gerade noch erkennen, dass die Karte in Yesilköy abgestempelt wurde, und datiert 20.8.1954 von unserer nicht heißgeliebten, dazu war sie zu distanziert, aber von allen hoch verehrten Tante (in meinem Falle Großtante) Sophie.
Der Skira-Band bildet zusammen mit dem Katalog „T-Lautrec. 29. Dezember 1961 bis 25. Februar 1962 Wallraf-Richartz-Museum Köln“ die Basis häuslicher Erkenntnismöglichkeiten zu Toulouse-Lautrec, und beides wird zumindest vorläufig noch nicht „entsorgt“.