Houellebecq,
Michel, Unterwerfung. Köln: Dumont 22015
(ISBN 978-3-8321-96795-7)
Vom 07.02.
bis 17.02.2015 lag ich mit einer Lungenentzündung und ziemlichen
Herzbeschwerden in Berlin-Steglitz im Charitè-Klinikum Benjamin Franklin. Auf
etwa halber Strecke schaffte ich es, neben der täglichen Zeitung –Tagesspiegel
vom Klinikum, FAZ von zu Hause – das oben genannte Buch aus dem Fundus meiner
Tochter zu lesen. Schon hier sei es gesagt: Ich habe das Buch nicht
verschlungen, bereue aber keineswegs es gelesen und zur Kenntnis genommen zu
haben. Es war so aktuell, dass man ihm immer wieder zustimmen konnte, so
clairvoyant, dass man sich wunderte, die gleichen Wege nicht schon selbst und
früher eingeschlagen zu haben. Was den besonderen Chic des Buches ausmachte, bemerkte
ich erst so etwa auf Seite 169, dass nämlich, obwohl eine deutsche Übersetzung,
wörtliche Rede in französische Anführungsstriche («(…)») gesetzt wurde, nicht aber in
deutsche („(...)“) oder angelsächsische (“ (...)”).
Nicht vergessen werden sollte das nicht ganz reine „grün“ des Einbandes, ein
leicht verfärbtes Prophetengrün, passend zum Thema.
Ein
einerseits nur Nebenthema, das dann im Verlauf einer „Unterwerfung“ unter die
Verführung durch die sich ergebenden polygamen Möglichkeiten an Zentralität gewinnt,
sind die sexuellen Bedürfnisse des Helden François, der nur mit seinem Vornamen
auftritt, doch wohl das „ego“ des Autors ist. Die Beschreibungen der
Beziehungen zu Myriam (S. 31), einer Jüdin (S. 91), die mit ihrer Familie
vorsichtshalber nach Israel auswandert, der Beziehungen zu den Escorts
Nadiamaghrebina (S. 163), Babeth die Schlampe (S. 164), Rachida, einer
22-jährigen Marokkanerin und Luisa, einer 24-jährigen Spanierin (S. 173) haben
doch einen sehr schematischen Charakter, als hätte der Autor professionelle
pornographische Literatur oder das Lehrbuch „Wie pornographiere ich?“ konsultiert,
keineswegs unmittelbare Erfahrungen verarbeitet. Damit passt er zu Henry
Miller, von dem Ayn Rand wohl zu berichten wusste, dass er seine sexuellen
Fähigkeiten maßlos überschätzte, und zu David Herbert Lawrence, dessen Frieda
sich anderwärts befriedigen musste. Hierzu passt auch der Hinweis auf das Haus
in der Rue des Arènes No. 5, das der erste Rektor der muslimischen Sorbonne,
Robert Rediger, bewohnt, wo früher jedoch Dominique Aury die „Geschichte der O“
schrieb. Hierzu passt auch die scheinbar soziologisch fundierte Bemerkung, dass
der französische Mann, wenn er den Samenerguss nicht mehr zurückhalten kann „o,
verdammt! O, verdammt!“ fluche, während der Amerikaner „o, God! O, Jesus
Christ“ flehe. Mich erinnert dies an meine Lektüre während einer Studentenzeit
in Freiburg. Nicht nur befriedigte ich meinen Nachholbedarf Dostojewski und
Stifter betreffend, sondern es gab im Bücherfundus meiner Studentenbude auch
mehrere Jahrgänge der Ullstein-Hefte aus den zwanziger Jahren, woraus ich eine
„Quatschglosse“ bis heute nicht vergessen habe (entfernte Ähnlichkeit mit dem
Unterleib Houellebecqs?). „Was fragt die Frau den Partner nach der ersten
Nacht? Die Französin: Hast Du Dich auch amüsiert? Die Engländerin: Fühlst Du
Dich jetzt besser? Die Amerikanerin: Jetzt kann ich endlich meine Zigarette zu
Ende rauchen. Die Russin: Aberr meine Sälle bekommst Du nicht! Die Deutsche:
Kannst Du mich jetzt noch achten?“ Im Sommer 1961 ergänzte eine schnippische
junge Griechin auf Paros diesen Kanon um die Reaktion der Griechin: Sie sagt
gar nichts, wartet auf das zweite Mal.
Ich frage
mich überdies, warum neben der „ich“-Person nur diese fünf Frauen und zwei
weitere Frauen, Alice, nicht mehr ganz jung,Hochschullehrerin von der
Universität Lyon III, Spezialistin für Nerval und asexuell und doch mit Anklängen
an das Wunderland gewürdigt und Sylvia, die Lebensgefährtin des Vaters in
seinem Rentnerdasein und spätere Witwe, die ihn vielleicht beunruhigt, aber
doch wenig sympathisch ist, auf ihren Vornamen beschränkt werden, während die
männlichen Protagonisten entweder tatsächlich oder aber zumindest scheinbar mit
vollem Namen ergoogelt werden könnten. Ist auch das eine Unterwerfung der anderen?
Verführerisch und doch außerhalb der schmerzhafteren Unterwerfung findet sich
auf S. 131 der von Marie-Françoise
Tanneur bereitete Saubohnensalat mit Löwenzahn
und Parmesanraspeln.
Natürlich
ist die Unterwerfung zunächst ein politischer Roman, der durch die Anschläge am
9. 1. 2015 auf Charlie Hebdo und Hyper Cacher allerdings zusätzliche Aktualität
bekam und wohl auch ein wenig in eine falsche Ecke gestellt wurde. Die keineswegs
abwegige Überlegung, dass sich in naher Zukunft die klassischen europäischen
Gegensätze von links versus rechts überlebt haben werden – was übrigens eh
schon der Fall ist wie man aus dem Bündnis der SYRIZA mit der ANEL des Panios
Kammenos in Griechenland unschwer ersehen kann – und durch neue Koalitionen
ersetzt werden müssen. Das geschieht in Frankreich – ich glaube mich zu
erinnern im Jahre 2022, um einen Sieg des Front National zu vereiteln – mit der
Präsidentschaft des Muslims Mohammed Ben Abbes, der jedoch nach Houellebecq
eher der Wiedererstehung des mediterranen römischen Reiches anhängt als einer
Islamisierung Frankreichs oder Europas. Mit Tariq Ramadan als eventuellem
Rivalen oder eventueller Alternative zu Ben Abbes taucht in diesem Zusammenhang
eine der vielen realen Gestalten bei Houellebecq auf, der jedoch wegen seiner
Kontakte zu den Trotzkisten (S. 132) für die Bürgerlichen und Liberalen Europas
nicht koalitionsfähig sei. Das ist, weil kein zentrales Interesse meinerseits,
etwas, was ich auch mit ein bisschen „Googeln“ nicht beurteilen kann.
Allerdings scheint mir trotz der muslimischen Wahlerfolge und deren Okkupation des
Erziehungsbereichs (in Anlehnung an Fethullah Gülen?) und trotz des für Kapitel
V gewählten Mottos aus dem Munde des Ayatollah Chomeini («wenn der Islam nicht politisch ist, ist er
nichts.») die Darstellung der französischen (europäischen) Gesellschaft
sehr viel wichtiger, weil bereits greifbarer, die verschwimmenden Grenzen, die
uneindeutige bzw. zweideutige Haltung zahlreicher „Identitärer“ – übrigens ein
gut gewählter plastischer Begriff, der mit „PEGIDA“ und deren diffuser
Anhängerschaft unbedingt konkurrieren kann. Auffällig auch der schließlich
ausschließliche Gebrauch des des Konjunktivs (oder des Futurs?) in der Übersetzung zumindest von S. 267 bis
zum Schluss, wo es um die angeblich vor allem aus polygamen Gründen erfolgende
Unterwerfung des Helden François unter das neue (muslimische) Bildungssystem
geht.
Gut bis sehr
gut gelungen scheint mir das Leitmotiv, das von Joris-Karl Huysmans, über den
François promoviert worden ist, bestimmt wird. Hierzu beigetragen hat ganz
bestimmt die in der Danksagung auf der letzten unpaginierten Seite genannte
Agathe Novak-Lechevalier, Hochschullehrerin der Université Paris X – Nanterre.
Zwar kenne ich nicht die fanzösischen
akademischen Usancen, doch entsteht auf jeden Fall ein mögliches reales Bild
universitären Daseins.
Nach meiner
Überzeugung handelt es sich um eine hoffentlich nicht ganz so schlimm eintreffende Kritik an der europäischen Gesellschaft, die durch die Einbeziehung
vieler realer Gestalten an Schärfe gewinnt, nicht am Islam.
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