Mittwoch, 25. Februar 2015

Houellebecq



Houellebecq, Michel, Unterwerfung. Köln: Dumont 22015 (ISBN 978-3-8321-96795-7)

Vom 07.02. bis 17.02.2015 lag ich mit einer Lungenentzündung und ziemlichen Herzbeschwerden in Berlin-Steglitz im Charitè-Klinikum Benjamin Franklin. Auf etwa halber Strecke schaffte ich es, neben der täglichen Zeitung –Tagesspiegel vom Klinikum, FAZ von zu Hause – das oben genannte Buch aus dem Fundus meiner Tochter zu lesen. Schon hier sei es gesagt: Ich habe das Buch nicht verschlungen, bereue aber keineswegs es gelesen und zur Kenntnis genommen zu haben. Es war so aktuell, dass man ihm immer wieder zustimmen konnte, so clairvoyant, dass man sich wunderte, die gleichen Wege nicht schon selbst und früher eingeschlagen zu haben. Was den besonderen Chic des Buches ausmachte, bemerkte ich erst so etwa auf Seite 169, dass nämlich, obwohl eine deutsche Übersetzung, wörtliche Rede in französische Anführungsstriche («(…)») gesetzt wurde, nicht aber in deutsche („(...)“) oder angelsächsische ( (...)). Nicht vergessen werden sollte das nicht ganz reine „grün“ des Einbandes, ein leicht verfärbtes Prophetengrün, passend zum Thema.
Ein einerseits nur Nebenthema, das dann im Verlauf einer „Unterwerfung“ unter die Verführung durch die sich ergebenden polygamen Möglichkeiten an Zentralität gewinnt, sind die sexuellen Bedürfnisse des Helden François, der nur mit seinem Vornamen auftritt, doch wohl das „ego“ des Autors ist. Die Beschreibungen der Beziehungen zu Myriam (S. 31), einer Jüdin (S. 91), die mit ihrer Familie vorsichtshalber nach Israel auswandert, der Beziehungen zu den Escorts Nadiamaghrebina (S. 163), Babeth die Schlampe (S. 164), Rachida, einer 22-jährigen Marokkanerin und Luisa, einer 24-jährigen Spanierin (S. 173) haben doch einen sehr schematischen Charakter, als hätte der Autor professionelle pornographische Literatur oder das Lehrbuch „Wie pornographiere ich?“ konsultiert, keineswegs unmittelbare Erfahrungen verarbeitet. Damit passt er zu Henry Miller, von dem Ayn Rand wohl zu berichten wusste, dass er seine sexuellen Fähigkeiten maßlos überschätzte, und zu David Herbert Lawrence, dessen Frieda sich anderwärts befriedigen musste. Hierzu passt auch der Hinweis auf das Haus in der Rue des Arènes No. 5, das der erste Rektor der muslimischen Sorbonne, Robert Rediger, bewohnt, wo früher jedoch Dominique Aury die „Geschichte der O“ schrieb. Hierzu passt auch die scheinbar soziologisch fundierte Bemerkung, dass der französische Mann, wenn er den Samenerguss nicht mehr zurückhalten kann „o, verdammt! O, verdammt!“ fluche, während der Amerikaner „o, God! O, Jesus Christ“ flehe. Mich erinnert dies an meine Lektüre während einer Studentenzeit in Freiburg. Nicht nur befriedigte ich meinen Nachholbedarf Dostojewski und Stifter betreffend, sondern es gab im Bücherfundus meiner Studentenbude auch mehrere Jahrgänge der Ullstein-Hefte aus den zwanziger Jahren, woraus ich eine „Quatschglosse“ bis heute nicht vergessen habe (entfernte Ähnlichkeit mit dem Unterleib Houellebecqs?). „Was fragt die Frau den Partner nach der ersten Nacht? Die Französin: Hast Du Dich auch amüsiert? Die Engländerin: Fühlst Du Dich jetzt besser? Die Amerikanerin: Jetzt kann ich endlich meine Zigarette zu Ende rauchen. Die Russin: Aberr meine Sälle bekommst Du nicht! Die Deutsche: Kannst Du mich jetzt noch achten?“ Im Sommer 1961 ergänzte eine schnippische junge Griechin auf Paros diesen Kanon um die Reaktion der Griechin: Sie sagt gar nichts, wartet auf das zweite Mal.
Ich frage mich überdies, warum neben der „ich“-Person nur diese fünf Frauen und zwei weitere Frauen, Alice, nicht mehr ganz jung,Hochschullehrerin von der Universität Lyon III, Spezialistin für Nerval und asexuell und doch mit Anklängen an das Wunderland gewürdigt und Sylvia, die Lebensgefährtin des Vaters in seinem Rentnerdasein und spätere Witwe, die ihn vielleicht beunruhigt, aber doch wenig sympathisch ist, auf ihren Vornamen beschränkt werden, während die männlichen Protagonisten entweder tatsächlich oder aber zumindest scheinbar mit vollem Namen ergoogelt werden könnten. Ist auch das eine Unterwerfung der anderen? Verführerisch und doch außerhalb der schmerzhafteren Unterwerfung findet sich auf S. 131 der von Marie-Françoise Tanneur bereitete  Saubohnensalat mit Löwenzahn und Parmesanraspeln.
Natürlich ist die Unterwerfung zunächst ein politischer Roman, der durch die Anschläge am 9. 1. 2015 auf Charlie Hebdo und Hyper Cacher allerdings zusätzliche Aktualität bekam und wohl auch ein wenig in eine falsche Ecke gestellt wurde. Die keineswegs abwegige Überlegung, dass sich in naher Zukunft die klassischen europäischen Gegensätze von links versus rechts überlebt haben werden – was übrigens eh schon der Fall ist wie man aus dem Bündnis der SYRIZA mit der ANEL des Panios Kammenos in Griechenland unschwer ersehen kann – und durch neue Koalitionen ersetzt werden müssen. Das geschieht in Frankreich – ich glaube mich zu erinnern im Jahre 2022, um einen Sieg des Front National zu vereiteln – mit der Präsidentschaft des Muslims Mohammed Ben Abbes, der jedoch nach Houellebecq eher der Wiedererstehung des mediterranen römischen Reiches anhängt als einer Islamisierung Frankreichs oder Europas. Mit Tariq Ramadan als eventuellem Rivalen oder eventueller Alternative zu Ben Abbes taucht in diesem Zusammenhang eine der vielen realen Gestalten bei Houellebecq auf, der jedoch wegen seiner Kontakte zu den Trotzkisten (S. 132) für die Bürgerlichen und Liberalen Europas nicht koalitionsfähig sei. Das ist, weil kein zentrales Interesse meinerseits, etwas, was ich auch mit ein bisschen „Googeln“ nicht beurteilen kann. Allerdings scheint mir trotz der muslimischen Wahlerfolge und deren Okkupation des Erziehungsbereichs (in Anlehnung an Fethullah Gülen?) und trotz des für Kapitel V gewählten Mottos aus dem Munde des Ayatollah Chomeini («wenn der Islam nicht politisch ist, ist er nichts.») die Darstellung der französischen (europäischen) Gesellschaft sehr viel wichtiger, weil bereits greifbarer, die verschwimmenden Grenzen, die uneindeutige bzw. zweideutige Haltung zahlreicher „Identitärer“ – übrigens ein gut gewählter plastischer Begriff, der mit „PEGIDA“ und deren diffuser Anhängerschaft unbedingt konkurrieren kann. Auffällig auch der schließlich ausschließliche Gebrauch des des Konjunktivs (oder des Futurs?) in der Übersetzung zumindest von S. 267 bis zum Schluss, wo es um die angeblich vor allem aus polygamen Gründen erfolgende Unterwerfung des Helden François unter das neue (muslimische) Bildungssystem geht.
Gut bis sehr gut gelungen scheint mir das Leitmotiv, das von Joris-Karl Huysmans, über den François promoviert worden ist, bestimmt wird. Hierzu beigetragen hat ganz bestimmt die in der Danksagung auf der letzten unpaginierten Seite genannte Agathe Novak-Lechevalier, Hochschullehrerin der Université Paris X – Nanterre. Zwar  kenne ich nicht die fanzösischen akademischen Usancen, doch entsteht auf jeden Fall ein mögliches reales Bild universitären Daseins.
Nach meiner Überzeugung handelt es sich um eine hoffentlich nicht ganz so schlimm eintreffende Kritik an der europäischen Gesellschaft, die durch die Einbeziehung vieler realer Gestalten an Schärfe gewinnt, nicht am Islam.


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