Geld
Karl hatte sein Studium der Geschichte abgeschlossen, war Assistent gewesen, hatte sich leichten Herzens hochgedient, nur nach seiner Überzeugung – ohne sich zu prostituieren. Er war bedeutend genug, um bekannt zu sein, nicht bedeutend genug, um Ängste zu erzeugen. Kluge Menschen merkten bald, dass er nicht mehr wollte als das Leben zu Ende zu bringen, auch die klugen Menschen merkten nicht, daß in einem nur ihm bekannten Winkel der Seele er immer noch Katherine Mansfields something childish but very natural bewahrt hatte, obwohl er in schwachen Augenblicken, wenn er einem Menschen verfiel, an den er zu glauben glauben konnte – eine gefährliche Parallele zu „nicht Müssen müssen“, immer wieder versuchte, dieses Geheimnis einer fortbestehenden Kindheit preiszugeben.
Sein Glück verließ ihn nicht, und er war in Berlin Professor geworden, weil alle anderen ernsthaften Kandidaten sich in den Netzen rivalisierender, sich gegenseitig zerstörender Seilschaften verfingen und er selbst sich den Ruf eingehandelt hatte, er tue, was man ihm sage. Er war weiter gewandert und war bekannt genug geworden, so dass man mit seinem Namen nicht viel, aber hinreichend viel verband.
Ohne Vorbedingungen, d.h. nur gebunden an die Verfügbarkeit durch Karl, war Hannelore Münchberg bereit, hundert Millionen € in eine Stiftung für eine Universitätsgründung zu zahlen, eine schier unglaubliche Summe, mit der man als Köder viel, im laufenden Betrieb nicht ganz soviel erreichen konnte. Doch, sie hatte als ökonomisch denkende Frau mit sentimentalen Neigungen einen Wunsch, dass so bald wie möglich eine Dependence in Indien gegründet werde, ein College in Darjeeling und Acquirierungsbureaus in Agra und Madras in Anlehnung an das German Institute of Science and Technology der Technischen Universität München in Singapore, doch ohne unmittelbares Mitspracherecht der deutschen Industrie. Hier sollten die fähigen Köpfe für Deutschland ausgebildet werden, aber auch als Multiplikatoren für Deutschland in Indien selbst. Ausgebildet werden sollte in den Grenzbereichen zwischen Wirtschaft und Technik und in theoretischer Mathematik. Hannelore Münchberg hatte in Indien erfahren, wie alle zusammenströmenden Einflüsse in Indien ineinander glitten, Hinduismus, der Islam, das Christentum, der Säkularismus, Stalinismus, Liberalismus, Maoismus, der demokratische Sozialismus und der Gandhiismus. Es gab nicht einen Gedanken in Ost oder West, der nicht einem Inder durch den Kopf schoss. Sie war gefangen von der kulturellen Heterogenität und dem politischen Experiment der indischen Demokratie, glaubte, als Besonderheit die Kraft und das Selbstbewusstsein der indischen intellektuellen Traditionen im Kontrast zu jedem, aber auch zu seinem größeren Nachbarn China zu erkennen, dessen wissenschaftliche Traditionen durch den Totalitarismus zumindest eingeschläfert worden waren.
Durch diese finanziellen Möglichkeiten entfiel die Notwendigkeit, von Sozialingenieuren auf der grünen Wiese eine Eliteuniversität errichten zu lassen in der Art, wie das Fernsehen den klügsten deutschen Professor sucht. Es entfiel auch der Zwang, sich dem Vorbild der corporate university anzuschließen, man musste nicht Rädchen in einem Wirtschaftskombinat werden, sondern konnte selbst Zentrum eines Wissenskombinats sein. Man brauchte nicht darüber nachdenken, ob die Bezeichnung „Universität“ zu hoch gegriffen sei, ob nicht corporate academy die Intentionen besser träfe, oder management institute, oder leadership excellence, corporate learning oder learning & development, und doch sollte auch die universitäre Neugründung so effizient sein, dass sie wie ein Düsenjet während des Fluges betankt werden könnte.
Wie waren sie auf die Möglichkeit einer Stiftung gekommen? Natürlich hatte Karl im späteren Verlauf ihrer Freundschaft wie von Kinderseelen von seinen Plänen berichtet, doch vorsichtig darauf verzichtet, dabei seinen Zynismus zu zeigen. Es schien für Hannelore Münchberg nach zunächst langem Schweigen eine Möglichkeit, ihre einsam gewordene Intelligenz mit Sinn zu füllen. Sie befragte Karl nach den Finanzierungsmöglichkeiten, und er berichtete von seinen Versuchen in Wien, die er von seiner Seite abgebrochen hatte, von seinen jetzigen Überlegungen in Deutschland, dass der Kreis der Interessenten zwar groß sei, dass er fast überall Zustimmung erfahren habe, das Finanzierungsproblem jedoch nicht gelöst sei. Seine Hoffnungen, über die Kulturstiftung des Bundes – zur Anstalt denaturiert, da sie am Tropf der Gnade des Finanzministers hing – eine Anschubfinanzierung zu erreichen, seien nur gering, überhaupt sei der Anstoß das schwierigste.
Als Einzelkind und selber kinderlos begann Frau Münchberg, sich für den Gedanken einer Stiftung zu erwärmen und beriet sich mit ihrem Steuerberater und Anwalt. Gemeinsam kamen sie zu dem Ergebnis, dass, um die junge Universität auf sichere Beine zu stellen, neben der Siftung ähnliche Summen notwendig seien wie die, die Bayern München für seine Vermarktungsrechte erhielt. Ohne dass er es wusste, half überdies ein alter Freund Frau Münchbergs, der sich um Stiftung und Gemeinwohl der Universität Witten-Herdecke kümmerte und das Gesamtspektrum der möglichen Steuerbefreiungen in Deutschland kannte. Überdies veränderte sie zugunsten der Universität ihr Testament, wodurch diese nach ihrem Tode in den Besitz größerer Ländereien in Bayern und ganzer Häuserzeilen in München kommen sollte, ganz wie die reichen Klöster des Mittelalters und der frühen Neuzeit vor der Säkularisierung 1803. Hannelore Münchberg und Karl nahmen eine Korrespondenz der Freundschaft auf, die moderner als im 18.Jahrhundert sich aus Briefen, Telephonaten, Emails und SMSs zusammensetzte, je nachdem wie dringlich ein Gedankenaustausch war, ob es um das Glück kongenialer unbefangener Seelen ging, um juristische Finessen, schnelle Entscheidungen oder Hilferufe und sich doch nicht so sehr von den unbewussten Vorbildern unterschied in der vorsichtigen Annäherung und dem gegenseitigen Vertrauen, das alle Freiheiten ließ.
Mit diesen verbrieften Zusagen war Karl erfolgreich hausieren gegangen, denn eine solche immense Einzelstiftung war schließlich bisher nur aus den USA bekannt, die letzte der großherzig verführerischen Ruth Lilly für das Poetry Magazine in Chicago. Und so war Karl schließlich im Verbund mit der nordrhein-westfälischen Landesregierung, dem Centrum für Hochschulentwicklung und dem Hause Bertelsmann einig geworden, den Versuch mit Gütersloh zu wagen. Karls Erfahrungen mit Gütersloh reichten bis in seine Kindheit zurück. Von dort stammte ein brauner Strickanzug, den er noch in der Erinnerung hasste. Dort hatte er Anfang der sechziger Jahre eine einsame Nacht eingeschlossen im Warteraum des Bahnhofs verbracht, als kurz vor der Raststätte Gütersloh das Auto endgültig zusammengebrochen war. Dort auch nahm er zum ersten Mal bewusst die wilhelminische Architektur wahr, ohne zu begreifen, dass sie sechzig Jahre später denkmalwürdig sein würde.
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