Die Besetzung von Professuren
Es wurde ein Berufungskanon verabschiedet, in dem die Internationalität der Johannes-Universität allererste Priorität erhielt, weil sie für das akademische Binnenklima fruchtbar sei und die Aufgeschlossenheit nach außen beweise, überdies die Einrichtung internationaler Studiengänge fördere und ausländische Studenten attrahiere. Etwa 20% der Professuren sollten mit Bewerberinnen oder Bewerbern aus dem Ausland besetzt werden, von denen man – vorbildhaft in Skandinavien und den Niederlanden vorexerziert – erst nach einigen Jahren die Kenntnis der deutschen Sprache erwarte. Um dies zu erreichen, sollte jede Stelle international mit deutschem, englischem und französischem Ausschreibungstext ausgeschrieben werden. Auch bei deutschen Bewerberinnen und Bewerbern sollten Auslandserfahrung und englischsprachige Bewerbungsschreiben zur Einstellungsvoraussetzung gemacht werden. Jugend sei gefragt, aber auch Durchmischung der Altersgruppen. Und doch sollte neben Qualität in der Forschung – über die positive Wirkung von Kontrazeptiva im Kampf gegen die Multiple Sklerose bei Frauen, Talent in der Lehre – in der Konzentration auf den deutschen Nationalsozialismus – und akademischem Engagement das Lebensalter unbedingt berücksichtigt werden. Die Berufung von Frauen sollte nicht mehr ein gesellschaftspolitisches Anliegen, sondern eine Selbstverständlichkeit im Interesse des universitären Binnenklimas sein. Das gleiche gilt für den Nachweis von Berufspraxis. Und was bedeute schließlich Forschung? Es ist eine Aktivität, die zu jedem Zeitpunkt analytisches und kritisches Denken erfordert.
Das letztlich entscheidende aber sei die Persönlichkeit: Berufungspolitk müsse neben der wissenschaftlichen Qualifikation auch auf die persönlichen Eigenschaften der zu Berufenden Wert legen. Dies sei in mehrfachem Sinne gemeint: Einerseits erwarteten die Studierenden heute wieder viel stärker (und zu Recht), in der Universität Personen vor sich zu sehen, die „Eindruck machen“ und natürlich in ihrem Fach, aber eben auch zu Fragen jenseits des Fachlichen etwas zu sagen haben. Der Begriff der Lehrer/Schüler-Beziehung mag altbacken klingen, ist aber durchaus aktuell in einer Gesellschaft, in der es eher beziehungslos zugeht: Die Professorinnen und Professoren und damit die Universität sollten für die Studierenden ruhig eine Instanz sein dürfen – und übrigens brauchen wir auch künftig universitäre Amtsträgerinnen und Amtsträger – die so toll sind, wie wir.
Da die Johannes-Universität grundsätzlich eine Privatuniversität war, mußten die zu berufenden Professorinnen und Professoren, nicht von der Wissenschaftsministerin des Landes Nordrhein-Westfalen berufen und ernannt werden, sondern dies geschah durch den Senat der Universität durch die Person des Rektors. Grundsätzlich verkürzte dies die jahrelangen Findungs- und Entscheidungsprozesse, obwohl auch die Wissenschaft bzw. ihre Vertreter sehr wohl selbst in der Lage waren, sich zu zerfleischen und andere nur mit Blessuren zum Ziel kommen zu lassen. Dennoch ging es in der Regel zügig, da die Kandidaten als Netzwerkangehörige meist bereits im Vorfeld abgesichert wurden, der Verteilungskampf bereits abgeschlossen war, wenn man dieselben in den traditionellen Kommissionen voll geballten Wissens auf Herz und Nieren prüfte. Zur Absicherung der Prüfungs- und anderer Rechte der Universität war die Teilnahme eines Mitglieds des Ministeriums an der Kommissionsarbeit in der Regel ohne Stimmrecht, doch mit Rederecht vorgesehen, und die Ernennung wurde quasi durch Konkordatsvereinbarungen von der Ministerin bestätigt. Allerdings war eben diese nur begrenzt glücklich über eine Universitätsgründung im Lande Nordrhein-Westfalen, über die sie angesichts des hohen Anteils an Stiftungsgeldern nicht ganz die Kontrolle ausüben konnte, nicht ganz ihren Wahlspruch umsetzen konnte „Ich will die Fäden in der Hand behalten“. Doch drifteten ihre und die Interessen der Verantwortlichen an der Johannes-Universität nicht gar so weit auseinander, denn alle Beteiligten erklärten, sich an den Realitäten – was das nun heißen mochte – orientieren zu wollen.
Global Governance
Es war kein erbitterter Streit über eine stärker ökonomische oder stärker sozial-wissenschaftliche Ausrichtung der Professur für interkulturelles Management, eine der Kernprofessuren des Forschungs- und Studienschwerpunkts „Global Gover¬nance“ geführt worden. Trotz Wahrung aller Konventionen mit Ausschreibung, Kommissionsbildung, auswärtigen Gutachten und koscheren Abstimmungsmodi verfolgte die Johannes-Universität die aus der Wirtschaft mit Vergnügen übernom¬mene Kopfjägermethode. Es gab Scheingefechte. Sollte das tertium comparationis im vielfältigen europäischen Kontext gesucht werden, vielleicht der Balkan als Spielball der römischen, osmanischen, habsburgischen und sozialistischen Er¬oberer oder als autonomes Subjekt mit den wunderbaren Basisdaten in Krauss‘ens Anthropophyteia, – 7.1910:
1. Berresschwoger – Mann, der mit einer verheirateten Frau in deren Wohnung bei Abwesenheit des Ehemannes geschlechtlichen Verkehr pflegt (Westfälisch).
2. P. 22: Tôschn (Tasche) Tirolerisch für liederliches Weib [norw. Taske].
3. P. 26: fummeln ? < fúmln von fúml – vulva = reiben
4. P. 27: Scháißtôg (Dies cacandi) = 29. Dez. An diesem Tag mußte das Gesinde soviel Arbeit nachholen, als sie im Laufe des Jahres durch „Scheißen“ ver¬säumt hatten,
dann müßte eine balkanologisch ausgewiesene Person von hohem Renommé berufen werden, wohl kaum ein Balkanese, der je nach Herkunft nach dem Rückzug der Großmächte unter albanischer, bulgarischer, kroatischer, rumänischer, serbischer oder ungarischer historischer Dominanz gelitten hatte und diese nicht vergessen konnte, wenn z.B. in Arad die Errichtung eines Denkmals für die ungarischen Freiheitskämpfer gegen Habsburg negativ und hinterher fast mit blutigen Köpfen diskutiert wurde. Dieser an sich so gesunde Grundsatz disquali-fizierte die deutschen Germanisten, wenn man sich nicht insgesamt und still¬schweigend einig gewesen wäre, dass Interkulturalität ohne Zweifel eine Hierarchie der Menschen, die gleichberechtigte Kulturen vertraten, bestätigen werde. Aber fraglos war der Balkan nicht nur zu nah, sondern unter Entwick¬lungsperspektiven zu unbedeutend, und so wurden nur drei regionale Schwer¬punkte ernsthaft diskutiert, China, Indien und Japan.
Zum Komplex der Globalität gehörten auch die historischen Wurzeln, die däni¬schen Meiereibetriebe in Sibirien um 1900, die Frage nach der Bedeutung der Peri¬pherie für das Zentrum – so auch der Gedanke an die Erfahrungen der eigenen Familie. Wenn Karls Mutter und Tante über die Vergangenheit stritten, nicht nur über die großen Dinge der durchlebten Weltgeschichte, sondern über Erinnerungen aus der kleinen westnorwegischen Hafenstadt am Nordmeer, aus der Strandgaten 116 – es war eine lange Straße, deren Häuserfront auf der Westseite meerabgewandt den Ausblick auf Hafen und Meer versperrte, während die Hinterhöfe das Tor zur Welt sein konnten – oder zumindest das Fenster dorthin, wenn man auf dem Außenklo saß und die Augen die unterste Kante des kleinen verschmuddelten Fensters erreichten. Durch die Hintertür gelangte man zunächst auf den Kai mit den dunklen Fischtrögen, am Vormittag voller hellem Leben, das später zu sprengt torsk verarbeitet und mit Rotwein betrunken wurde, auf das Lotsenboot, auf das Schiff nach Bergen, auf das Schiff nach Newcastle oder Stettin – diesen letzteren Weg wählten die Schwestern, weil es zu Hause so unerträglich schön war, und sie in keiner Metropole Europas unter Tränenströmen die unmittelbare Lebendigkeit der kleinen Stadt vergessen konnten. Dann wetzten sie sich aneinander und warfen der anderen ein unglaublich fehlerhaftes Erinnerungsvermögen vor, weil sie vergaßen, dass es viele Welten in der Welt gibt, Erkenntnis etwas mit dem eigenen Standpunkt zu tun hat, wenn man klein ist und notwendigerweise einen spitzeren Blickwinkel hat, die Welt groß ist, bei einem Altersunterschied von fünf Jahren Erfahrungen die Jüngere immer erst noch machen muß. Gleichzeitig verteidigten sie ihre Welten wegen der Gemeinsamkeiten – Ort? Zeit? Geschichte? Verwandtschaft? Sprache? – gegen jeden noch so qualifizierten Angriff von außen. Und wenn die dritte Schwester hinzukam, nahm die Auseinandersetzung Formen einer Schlacht aus dem Burenkrieg an, oder man konnte rätseln, wer die Rolle Peter Napoleons einnahm, um nur diese Kindergestalt von Bernt Lie zu nennen, eine norwegische hommage für Napoleon, die im Falle seiner Mutter später unkontrollierte Tränen vor dem Porphyrsarg im Invalidendom auslöste. So ließ sich soziales Verhalten bestimmen.
Auch Gestalten wie Peter von Aspelt, der nicht nur aus dem Zentrum Europas, aus Aspelt in Luxemburg stammte, nicht nur in das Panthéon des luxemburgischen Landes gehörte, sondern 1306 Erzbischof von Mainz geworden und Berater dreier europäischer Könige gewesen war, oder aber auch Pirmin auf dem Wege von Spanien in die Pfalz konnten Vorbild oder Maßstab sein.
Die andere Überlegung war, von der Erziehungswissenschaft her sich dem Problem der Interkulturalität anzunähern, zu vermitteln, warum man sich selber so und nicht anders verhält, die Merkwürdigkeiten des eigenen Verhaltens zu erkennen und so Toleranz und Verständnis gegenüber dem Fremden zu erreichen, die kognitiven und konativen Ebenen zu erschließen und herauszufinden, wann die notwendigen Quotenregelungen jede Mehrheit zur Minderheit und somit zu einer zu privilegierenden Gruppe machten. Daraus ergab sich die Aufgabe einer übergeordneten Identität und die Rückkehr zu relativ kleinen Stammesverbänden. Dieser ungemein vernünftige Standpunkt, der allerdings den Regionalwissenschaftlern den vorletzten Stein ihres Rechtfertigungsgebäudes wegriß – denn dann mußten sie in die kleine Strohhütte der Philologie zurückkehren, die sie so wohlgemut hinter sich zu lassen geglaubt hatten oder aber in den glokalisierten Apfel beißen – kam von Professor Jens Otto, der seit seinem fünfzigsten Geburtstag die meisten seiner Ziele erreicht hatte, nicht nur Vizepräsident, dann Präsident seiner eigenen Unversität geworden zu sein, Vorsitzender und Generalsekretär der nationalen und internationalen einschlägigen wissenschaftlichen Gesellschaften, sondern überdies seine begabte Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Frau Dr. Gudrun Grebenstein, in allen ihren Qualitäten beurteilen konnte und schätzen gelernt hatte. Wäre Otto mehr als nur Präsident einer Universität gewesen, wäre sie seine bedingungslos loyale Bürochefin zu nennen gewesen. Sie war überdies eine sehr schöne Dirne, die sich pflegte und nicht unter mediterraner Sonne die Beine spreizte, um auch die Innenseite ihrer Schenkel zu bräunen, und sie pflegte des Königs, und dienete ihm. Aber: Er war selber schuldig geworden darin, dass sie keine Abisag von Sunem mehr war, so dachte er unter einem Helm, der neun Nummern zu groß war für ihn, mit köstlicher Wehmut und alttestamentlicher Bildung. Gelegentlich nahm Frau Grebenstein, aus dem Niedersächsischen stammend, aber sich dennoch zurückführend auf die Tochter jenes Tübinger Professors Burchhardt (1539-1607), wodurch sie mit allen deutschen Geistesgrößen in der einen oder anderen Weise verwandt war, für sich das Adelsprädikat einer Kanakin in Anspruch, wenn sie sich nämlich auf ihre anglo-indische angeheiratete und kinderlos gebliebene Großtante berief und schelmisch eine armenische Nasenform für sich reklamierte. Dann wiederum gehörte Frau Grebenstein zu den Menschen, von denen man sich kaum vorstellen konnte, dass sie jemals Kind gewesen waren, dass sie vielmehr seit dem Kindergarten gewußt hatte, wie man im ersten Glied stehen kann, ohne sich schmutzig zu machen. Abgesehen von den familiären Arabesken verschwand ihre Familie sehr bald hinter der jeweiligen Gegenwart.
Obwohl viele sehr bald den Machtwillen Ottos erkannten, da er sich gelegentlich allzu offensichtlich in die erste Reihe drängte, war er jemand, der die Regeln des „do, ut des“ beherrschte. Er machte kein Hehl aus seinen Ansichten, formulierte sie aber so, dass er fast immer eine Mehrheit auf seiner Seite wußte. Wenn man von seiner natürlichen Neigung zur Korpulenz absah, die aber nie die Ausmaße erreichte wie die des legendären Edward Bright, der, als er 1750 mit 29 Jahren starb, sieben normal gebaute Männer in seinen Mantel knöpfen konnte – er konnte wie andere den Zigaretten der Schokolade nicht widerstehen –, achtete er auf sein Aussehen und sein Auftreten, damit er nicht zu schnell als bloßer Professor ent¬larvt wurde.
Frau Dr. Grebenstein war eine vielversprechende junge Wissenschaftlerin, auf der Höhe aller Theorien mit einem empirischen Fuß in der deutschen und in der japanischen erziehungswissenschaftlichen Problematik. Sie war eine annähernd schöne Frau mit regelmäßigen Gesichts- und Körperzügen, mit einer schwarzen Pagenfrisur – nicht selten in akademischen Kreisen, wenn man denn nicht der Zufälligkeit den Vorzug gab, schlank und glatt, auf ihre Kleidung mit diskreter Eleganz bedacht, bis hin zur für die Knie richtigen Rocklänge und den zu ihrem Typ passenden Schminktönen, bräunlich mit einem stählernen Blaustich. Ohne Essstörungen entsprach sie dem jugendlichen erfolgreichen Ideal. Unklar, da ihn Frau Grebenstein nicht übermäßig interessiert hatte, war Karl, ob sie außerhalb des universitären Zirkels ein weiteres, unabhängiges Leben besaß, einen Mann, eine Familie oder einen Kreis, in dem man ihr entspannt hätte begegnen können. Wahrscheinlich, vermutete er mit Überzeugung, war ihr Sinnen und Trachten allein auf den öffentlichen, ihm bekannten Raum beschränkt. Allerdings hatte sie einen Mann gehabt, der ihr unterwegs zum Gipfel universitärer Macht abhanden gekommen war, als er nicht mehr bloß Instrument einer möglichen Karriere sein wollte. Er war normal und Sachbearbeiter in einer Versicherung. Er fuhr einen selbst bezahlten ganz normalen weinroten Golf. Er wollte ganz normal zusammen mit Gudrun die Abende mit Squash, im Restaurant, zu Hause oder im Bett verbringen. Er respektierte ihren zu Gütersloh passenden Protestantismus und ihre hermaphroditische Seele. Damit fiel ihr die Tugend „to keep chast her bum“ nicht allzu schwer. Er dagegen wollte ganz normal eine Familie gründen, eine normale Familie haben. Er war auch einverstanden mit ihrer Berufstätigkeit, wollte keineswegs den Kauf des Staubsaugers oder zu einem späteren Zeitpunkt die Form des Swimmingpools im Garten allein oder über die Anschaffungen technischen Hausgeräts bestimmen. Aber bestimmte Dinge konnte er nicht, selbst wenn er sie gewollt hätte, und daher hatten sie sich bereits getrennt, als Frau Grebenstein noch die Assistentin Professor Ottos war. Danach war er so zufrieden wie man ist, wenn das Leben in erfülltem Mittelmaß dahinfließt, hatte eine neue dauerhafte Frau gefunden, die in derselben Versicherung arbeitete. Sie hatten zwei Kinder bekommen, teilten ziemlich gerecht die Lasten des Geldverdienens, der Kindererziehung und des Haushalts untereinander auf, bis sie sich zusätzlich eine Zugehfrau leisten konnten, teilten die täglichen Sorgen, um sie gemeinsam zu überwinden und rochen nicht hinter jeder Ecke des Lebens eine Verschwörung. Trotz einer Einladung erschien er weder zu den Gründungsfeierlichkeiten der Universität noch zur Amtseinführung seiner ehemaligen Frau. Frau Grebenstein hatte alles bedacht, nur hatte sie keine Zeit zu einer Dynastiegründung gefunden. Daher hatte sie nach der Scheidung zwar etwas schwermütig, aber unaufgefordert den Brusteinsatz ihres Hochzeitskleides aus milanesischer Samtspitze, dazu die Kaskaden Brüsseler Spitzen, die den langen Rock hinabgeperlt waren, beides Geschenke ihrer zeitweiligen Schwiegermutter, wieder zurückgeschickt.
Frau Grebensteins vorletzte große Arbeit war eine Untersuchung über den unterschiedlichen kognitiven Prozeß bei Japanern und Deutschen. Im Berliner Milieu hatte sie früher auch einmal über das Sexualverhalten in der drogenabhängigen Population, über den Zusammenhang von Sexualität und intellektueller Disabilität, also nicht weit entfernt von den Forschungen Magnus Hirschfelds, wenn man einmal von den fehlenden Anhängen über Animierkneipen absieht, daneben auch über kinästhetische Bilder und über die Kindheitswurzeln ästhetischer Absorption gearbeitet. Bei einem der großen europäischen Fachkongresse vor zwei Jahren war sie daher auch erfolgreiche eingeladene „Opponentin“ in einem Panel über Foucault, Bourdieu und irische Sexualität gewesen. Darüber hinaus war sie Mitglied der verschiedenen einschlägigen wissenschaftlichen Gesellschaften und selbst Vorstandsmitglied der sehr aktiven Neugründung des Wissenschaftsministeriums „Nationales Forum für Erziehung in der frühen Kindheit“. So war sie eine ernsthafte Kandidatin, Global Governance von den Wurzeln her zu erschließen.
Otto dachte daran zurück, wie er in seiner Berliner Zeit – noch vor dem Fall der Mauer – selbst unter den schwierigen Bedingungen eines Stadtstaates es erreicht hatte, seinen damaligen Mitarbeiter Stinde zum Professor zu machen dank eines dieser intentionalen Programme zur Förderung eines ausgewählten Nachwuchses, von denen gelegentlich auch Gerechte getroffen wurden. Es gab damals eine Debatte über die Gültigkeit des Hausberufungsverbots bei der Implementation solcher Sonderprogramme zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Einige Unbelehrbare wollten daran festhalten, an einer alten angestaubten deutschen Tradition, obwohl andere Länder nie oder längst nicht mehr diese Regel kannten, andere Auswahlverfahren, wie z.B. hochdienen oder die Zugehörigkeit zur richtigen Fraktion, kannten und die eigenen Qualifikationssysteme darauf zugeschnitten hatten. Das war allerdings ein zweischneidiges Argument, vor allem, weil man damals noch nicht so global dachte, und so war Professor Otto auf ein sehr viel besseres Argument verfallen. Man müsse Berlin mit einem Flächen-Bundesland, mit einem idealen glokalen Standort vergleichen, und so sei die bayerische Berufungspolitik von Würzburg nach München, von München nach Passau, von Bamberg nach Erlangen im eigentlichen und wahren Sinne eine Hausberufungspolitik. Die Autonomie der Universitäten sei genau das, was sie sei, nämlich Augenwischerei, Roßtäuscherei, simply a sham. Diese Idee gefiel seiner professoralen Fraktion ungemein gut. Ein Präzedenzfall wurde mit dem Leibassistenten Ottos, dann Professor Stinde, der vielleicht und natürlich sehr tüchtig war, geschaffen, der es der Gesamtuniversität ermöglichte, von der Ernennungspolitik zur Ruhigstellung der Märzgefallenen in den siebziger Jahren sich mit eben so gutem Gewissen einer scheinbaren Berufungspolitik zuzuwenden. So war Professor Otto auch ein vorauseilender Anhänger der Juniorprofessuren, die u.a. in Anlehnung an ein Modell der Universität Vechta Eurolatein unterrichten sollten. Besser noch als unter den herkömmlichen Bedingungen und nicht mehr angewiesen auf die gelegentlichen Sonderprogramme, die er allerdings angesichts seiner wachsenden Bedeutung in der deutschen Wissenschaftspolitik inzwischen auch selber lancieren konnte, wurden mit dieser veränderten Organisation des akademischen Mittelbaus die Möglichkeiten des Nest- und Netzbaus und der Schaffung von Abhängigkeiten optimiert. Die in hinreichender Entfernung hängende Karotte garantierte Wohlverhalten für die Jahre, in denen er noch dominierte. Später, davon ging er aus, müßten des sozialen Friedens willen eben diese handverlesenen Homunculi und übernommenen südkoreanischen Klone auf Dauer eingestellt werden, in der gleichen Weise wie man 1973 die 1968er befriedet hatte, in einigen Fällen gewiß lediglich die vorher einkalkulierten Erwartungen erfüllt hatte. Professor Otto konnte strategisch denken. Er war sich fast sicher, dass der Bundesgerichtshof die Juniorprofessur wieder aufheben und damit eine soziale Verantwortung der Gesamtgesellschaft entstehen werde, so dass bis auf die allzu früh verstorbenen die anderen in Lebenszeitstellen übernommen werden mußten, so wie es kurz vor 2010 geschah. Etwas ähnliches hatte die Universität unmittelbar nach 1945 erlebt mit einem weniger erfolgreichen Emigranten- und einem erfolgreicheren Königsberger Netzwerk. Und um 1950 oder nur wenig später waren die Sonderdrucktauscher, Korrespondenten und schließlich Kommissionsmonopolisierer wieder überall tätig – mit den berühmten Ausnahmen, die immer noch nicht verstanden hatten, wie die Welt funktioniert. Jetzt aber war es immer wieder das ominöse Nachkriegsjahr 1968, das berufen wurde, im Guten wie im Bösen.
Er konnte auf ein erfolgreiches Lebenswerk, auf ein bestelltes Feld zurückblicken. So plante er auch für die Johannes-Universität diesen innovativen Ansatz einer Neuordnung des lehrenden und forschenden Über- und Mittelbaus zu nutzen, eine Universität nach „meinem Angesicht“ zu schaffen. Endlich konnte das Netzwerk zur Einforderung von Wohlverhalten abgeschlossen werden, konnte an wahre Schulenbildung gedacht werden und konnten die eigenen Leute vor sonstiger wissenschaftlicher Konkurrenz geschützt werden, indem der Citationindex gefüttert wurde oder aber Positionen wie auf den Hitcharts erkauft wurden. Der Anreiz für den nationalen internationalen Nachwuchs – wie deutscher Jahrgangssekt im deutschen Bundestag – konnte behauptet werden, denn Widerspruch meldete sich allenfalls aus dem fernen MIT mit der Bemerkung, die Juniorprofessur verbinde die schlechtesten Elemente des deutschen und amerikanischen Systems miteinander, anzustreben seien die besten, als ob Einzelerfahrungen auch nur im geringsten eine pauschale glänzende Statistik widerlegen könnten. Dabei war nicht das MIT, sondern das Kazakhstan Institute of Management, Economics and Strategic Research under the President of the Republic of Kazakhstan, kurz Kimep, das Vorbild, um wie diese Institution ähnliche Erfolgszahlen – 90% der Angestellten von Price Waterhouse in Almaty sind Absolventen der Kimep – vorweisen zu können und dieser überdies Studenten abspenstig zu machen.
Der Ausschreibungstext ließ dann allen Hintergedanken weiter freien Raum, Inter¬kulturalität und Management wurden nicht näher bestimmt – schließlich war „Global Governance“ ein neues Fach, für das geeignete Vertreter eigentlich sogar erst geschaffen werden mußten.
Später war im Falle seiner Frau Dr. Grebenstein seitens Professor Ottos nicht mehr der gleiche Aufwand nötig wie seinerzeit in Berlin, allerdings mußte er die Erbsen zusammenzählen, die ihre wissenschaftliche Qualifikation bestätigten, ihre hervorragende selbständige Mitarbeit in seinen Drittmittelprojekten, ihre intensiven Konferenzreisen, ihre attraktiven wissenschaftlichen Vorträge, ihre Bereitschaft, die Universität in die Öffentlichkeit zu tragen, die Lehre über die Studierenden hinaus zu öffnen, wenn sie die allzu ernst gemeinten Unternehmungen allzu progressiver Professoren aufgriff und ihre Lehrveranstaltungen in den U-Bahnhof Wittenbergplatz verlegte. Überdies bewies sie Mut bei der Überwindung bereit überwundener politi¬scher Tabus und initiierte ein ganz eigenes Forschungsprojekt: „Was bedeutet der Satz eines langjährigen CHP-Wählers: ‚Biz gibi temiz, Müsülmandır.‘ ?“ Damit erreichte sie, dass sie Personenschutz erhielt.
Auf der ganzen Linie war Frau Grebenstein als überaus politisch korrekte Person eligibel. In der Debatte um die Bekämpfung von Jugendkriminalität erkannte sie, dass lediglich die Japaner mit ihrer Rückkehr zu alten Normen erfolgreich gewesen waren, aber das war für uns Europäer kein gangbarer Weg. Wenn die Venezianer im Viertel um den Ponte delle Tette mit probaten Mitteln die ausweglose Homosexualität ihrer Seeleute bekämpften und damit bezahlten, dass zehn Prozent der Venezianerinnen der Prostitution nachgingen, so hielt auch Frau Grebenstein in ihrem Innersten aufgrund eigener physiologischer Erfahrungen dies für eine therapeutische Möglichkeit gegen aus der Not geborene Verhaltensweisen. Und so trat sie auch ein für das Recht der UNO-Soldaten auf käufliche Liebe. Tabu und mangelnder theoretischer Unterbau würden sie jedoch immer davon abhalten, die praktischen und rabiaten Ansätze unserer Vorfahren explizit zu vertreten.
Nicht vergessen wurde der Anruf und rechtzeitige vorbeugende Termin bei der nordrheinwestfälischen Bildungsministerin, nicht umsonst war Professor Otto ein angesehenes Mitglied des Gründungssenats der Universität. Tatsächlich war dies der realistischen Initiative Karls geschuldet, um seiner Spielwiese die hinreichende Seriösität zu verleihen. Das bedeutete, dass er Abstriche machen mußte, sogar mit dem Risiko spielen mußte, die Fäden zu verwirren oder zu verlieren. Doch kannte er Professor Otto aus der ewigen Gremienarbeit, Gutachtertätigkeit, aus Kommissionen und hatte gut und effektiv mit ihm zusammengearbeitet, der eine als ungeduldiger Macher, der andere als desinteressierter Spieler, der eine naiv, der andere als lernfähige Westentaschenausgabe von M. Le Floch Prigent.
Alle hatten mit Vergnügen dem Kollegen Otto gelauscht, wenn er von seiner Spielzeugautosammlung erzählte und von den frühen Schucomodellen aus der Zeit vor und während des Ersten Weltkriegs. Karl mußte an seinen Musiklehrer Ober¬wiese denken, der aus der Schule geekelt wurde, weil er den Schülern erzählt hatte, mit welcher Begeisterung das Lehrerkollegium mit einer Märklineisenbahn spielte, die er im Lehrerzimmer deponiert hatte, um sie zu verkaufen.
Alle Kommissionsmitglieder waren allerdings mit Hintergedanken an bestimmte Personen nicht an zu aufreibenden Scheingefechten, die plötzlich ungewollten Ernst erlangen konnten, interessiert gewesen, lieber hätte man alle Kräfte für den Endkampf, für die Zerfleischung des gegnerischen Bewerbers oder der Bewerberin und der jeweiligen Befürworter, aufgehoben. Und so wurden dem Gründungssenat, in dem man selber saß und dem Kuratorium ein knappes Mehrheitsvotum und ein naturgemäß noch knapperes Minderheitenvotum vorgelegt, alle Freunde mobi¬lisiert, als handele es sich nicht bloß um eine dann etwa zwanzig Jahre gültige Entscheidung für eine Professur eines Faches, sondern um den Sturz einer Regierung.
Nicht gerechnet hatte man mit den Pfeilen im Köcher der Frauenbeauftragten, die Professor Otto in übergroßer Selbstsicherheit nicht in seine politischen Finessen einbezogen hatte und die mit dem Gesetz wedelten, als alle bereits zum Entscheidungskampf positioniert waren. Darauf beriefen sie sich und erklärten freudestrahlend, das ganze Verfahren sei nicht Gesetzes konform durchgeführt worden, da zur Anhörung der Kandidaten zwei Jahre vorher nicht die gleiche Anzahl von Frauen wie Männern eingeladen worden sei. Die Instrumentalisierung des Gese¬tzes war legal, lediglich ein Fall, wie Frauen sich selbst erzählen.
Frau Jentner schloß sich dem Protest der Frauenbeauftragten an – schließlich hatte sie sie vorher angespitzt – und bestand darauf, auch die Politologin Siborska müsse noch begutachtet und eventuell auf der Liste, am besten auf dem ersten Platz, berücksichtigt werden. Jeder Versuch, sie davon abzubringen, scheiterte. Im Ge¬genteil konnte sie im Wettbewerb zweier Bewerberinnen darauf verweisen, dass sie hier nicht einen Geschlechterkrieg führe, sondern einen um die Beste. Ob sie sich in irgendeiner Weise verpflichtet hatte oder den großen Entwurf im Hinterkopf, in der gleichen Weise wie Professor Otto, das wagte Karl nicht zu entscheiden, doch vermutete er eher, dass Inez Jentner als Getriebene nicht anders könne. Es schadete ihrem Ruf nicht mehr als andere ältere, spätere und anderwärtige Versuche.
Berechnet hatte man jedoch, wie man genügende und wichtige Hilfstruppen für den Wunsch- und gegen den möglichen Gegenkandidaten mobilisieren konnte. Ein auswärtiger Gutachter wurde disqualifiziert, weil er eine der Kandidatinnen betreute, ein anderer wurde für gut befunden, weil er bereits emeritiert war und damit seine Betreuung einer anderen Kandidatin abgehakte Geschichte. Von der einen Seite wurde versucht, den Betreuer eines Habilitationsverfahrens unter die Gutachter zu listen, ein anderes listiges Kommissionsmitglied merkte dies und bemerkte belehrend bedauernd, das bedeute nicht zu verantwortende Parteilichkeit. Und so brachten sich alle Fraktionen unbeschadet ihrer Unterstützer in Gefechts¬position in der Hoffnung, die späteren Gutachten auseinandernehmen zu können, selbstverständlich nicht Gutachterschelte zu betreiben, jedoch zu insinuieren, dass der jeweils Betreffende an Inhalten, Intentionen und den Interessen der Johannes-Universität vorbei gegutachtet hätte. Wunderbar auch die Betonung auf Internationalität, auf die Einbettung in die Netzwerke des Wissenschaftstourismus, möglichst in denen, zu denen auch „ich“ gehöre. Schließlich setzte sich Professor Otto mit seiner Kandidatin durch. Er selbst war hinreichend einflußreich, auch die dritte Gutachterrunde zu überstehen. Frau Dr. Grebenstein war eine Frau. Sie entstammte einem hervorragenden wissenschaftlichen Stall. Bettgeflüster war nicht justiziabel. Die Ehe wurde zwar allmählich abgeschafft, doch Probleme, wenn auch nicht an derselben Universität, schaffte lediglich die gesetzliche Zweisamkeit, allerdings für einen Professor mit Weltruf an manchen Universitäten heute kein Hinderungsgrund mehr. Außerdem hielt Herumturnen jung, erhöhte die Leistungsfähigkeit und ersparte somit Unkosten, die allerdings nur geschätzt werden konnten und nicht gegen das Perpetuum Mobile eines reisenden Professors aufgerechnet werden durften. Überhaupt war das Reisen, waren die Treffen innerhalb der akademischen Gemeinde ein großer persönlicher Gewinn. Das kurze Gespräch, der Händedruck mit jemandem, der bereits dazugehörte, übertrug dessen prominente Aura auf mich. Mit den Jahren gehörten die meisten Angehörigen der Johannes-Universität zur Weltelite, nahmen Gastprofessuren in Irvine war, erschienen als Mitherausgeber im Konzert mit Gelehrten aus Augsburg und Bordeaux.
So wie das Problem der Hausberufung mit dem Hinweis auf angebliche bayerische Usancen – wer hatte schon die Zeit und wollte sich des Vorwurfs des Nachfragens aussetzen? – aus der Welt geschafft worden war, konnte jetzt der Vorwurf beabsichtigter unzulässiger Sippenhaftung eingesetzt werden. Überdies war sie als Mitdreißigerin jung genug, um Elan zu versprechen, noch nicht von der Resignation vieler Versuche zerfressen, die nur dazu führen würde, sich auf sich selbst zurückzuziehen und Rosen zu züchten. Nichts konnte eine dynamische Universität, die von ältlichen Männern gegründet wurde, weniger vertragen. Und so wurde Professor Otto gebeten, den Kommissionsbericht zu schreiben, da er – ohne Ironie – die größte Kompetenz besaß.
Was für eine Frau sie ist, dachte Professor Otto sehnsüchtig sein eigenes embonpoint betrachtend, welches ihn zwang für Informationen aus down under auf Dritte oder einen Spiegel angewiesen zu sein, und die Gründe für die Liaison vergessend, da er sie in Gütersloh nicht bei sich haben konnte. Glücklicherweise hatte er vor einigen Jahren auf einer der Auktionen der Berliner Verkehrsgesellschaft von nie reklamierten Fundstücken einen gynäkologischen Untersuchungsstuhl billig erwerben können, den jemand in der U-Bahn vergessen hatte, der zwar nicht mit der Sonderanfertigung für den astronomischen Zwilling, Edward VII., auf Knole konkurrieren konnte, aber dann doch das wichtigste Möbelstück in seiner geheimen Zweitwohnung in der Taunusstraße wurde. Das Arrangement entsprach so sehr der Art, wie seine Finger in seinem abgewetzten Portemonaie nach dem passenden Kleingeld suchten. Und dennoch versagte er es sich auch später, der gleichmütigen Liebesbereitschaft Frau Grebensteins einen Platz in seinen dem Geist gewidmeten Memoiren einzuräumen. Bis zum Schluß hielt er entschlossen sein Doppelleben geheim.
Frau Prof. Dr. Grebenstein wurde nach ihrer Berufung allen Erwartungen gerecht. Ihr Freundeskreis reichte in die deutsche Halbwelt hinein im Dunstkreis der Porno-Filmindustrie, in dem sich die für das Finanzgebaren der Johannes-Universität so wichtigen Kleinkriminellen tummelten, die die Besetzung der deutschen Finanzämter schon lange mit eleganteren Mitteln betrieben und dazu beitragen konnten, günstige Kaufverträge mit der Stadt Gütersloh, dem Regierungspräsidenten und dem Land Nordrhein-Westfalen auszuhandeln. Wenn Deutschland auch kein Kleinstaat war, in dem jeder jeden über jemanden kannte, für das Netzwerk der Entscheidungsträger ließ sich dies alle Male konstruieren. Gelegentlich ahnte sie jedoch, dass sie unzulässigem Druck ausgesetzt war, wenn sie aus Opportunitätsgründen auf die Nachkommen von Stiftern Rücksicht nehmen mußte oder sich gegen ihre innere Überzeugung für Ehrenpromotionen und Honorarprofessuren einsetzte. Doch waren dies lediglich kurze Anwandlungen, die sie erfolgreich wegschieben konnte.
Eine kleine Schwäche Frau Grebensteins war ihr Glaube an die Medizinen K1 bis K15, die sie vorbeugend in Sitzungen und während ihrer Lehrveranstaltungen schluckte und fast immer auch ungefragt anpries, waren ihr Vertrauen in lebens¬erhaltenden Erdbeersaft, ihr bronzenes Armband mit einem feuerroten Krokoit aus Tasmanien zum Schutz gegen böse Geister, ihre Verbindungen zum Medium Sylvia Kaplan und dem von ihr neugegründeten Atargatis-Kult mit all den Merkwürdigkeiten, die man Sekten, denen man selbst nicht angehört, zuzuschreiben pflegt, und Karl war sich bewußt, dass er alles versuchen mußte, diese Konnektionen so diskret wie möglich zu belassen, damit nicht die Universität bereits in ihrer Frühphase in den Ruch rasputinscher Machenschaften und Hörigkeit geriet. Über dem Waschbecken in ihrem Badezimmer stand die tägliche Mundpflege, Salvimed, die Zahnpasta für die reiferen Zähne. Manches davon kannte er von seiner norwegischen Tante, bei der diese nützlichen Verbindungen gelegentlich aus Naivität und fehlender eigener krimineller Energie zum Nachteil der Tante ausgeschlagen waren, wenn sie dem schnellen Gewinn bei Cornfeld oder der Herstattbank oder der Versuchung anderer vielversprechender Einlagemöglichkeiten erlag und von ihren numinosen Beratern zu spät zum Aussteigen animiert worden war. Aber insgesamt war Frau Grebenstein ein leuchtendes Beispiel der modernen oberen Zehntausend, das sich unbefangen und besitzergreifend im Schloß von Versailles hätte bewegen können, doch genüßlich die Berliner Möglichkeiten der Nutzung der Privilegien der Gründerjahre-Villen am Wannsee und Tegeler See wahrgenommen hatte, in denen sich die demokratische Gesellschaft ihr Refugium mit raffinierten elektronischen Sicherheitssystemen, Wachhunden, Hausmeistern oder Schrankenwärtern geschaffen hatte. Durch ihre Arbeit bei Professor Otto und ihre eigene natürliche Bereitschaft gehörte sie dazu.
Ein späteres Ergebnis der Berufung Frau Professor Grebensteins war, dass es ihr gelang den bedeutenden Parapsychologen und Praktiker, Professor Alexander Golod aus Moskau für Gütersloh zu gewinnen, damit er hier seine vielversprechenden Versuche zum Schutze der Ozonschicht zum Erfolg führe. Auch für diese Stelle schlug Inez Jentner Frau Siborska vor.
Ein weiteres Großprojekt Professor Golods war die Erkundung des Erdmittelpunkts durch eine Sonde, die lediglich durch die Schwerkraft umhüllt mit einem Millionen Tonnen schweren Panzer aus flüssigem Eisen durch eine Erdspalte zum Erdmittelpunkt gleiten werde und von dort mit seismischen Signalen Informationen senden werde. Schließlich ist das Innere der Erde unbekannter als der Mond des Kleinplaneten Celle oder der jahreszeitliche Wechsel auf dem Planeten Neptun. Und eine der letzten Leistungen Karls während seiner Zeit an der Johannes-Universität war es gewesen, im letzten Augenblick Professor Golod, der davon wenig Ahnung hatte, an einem Plaidoyer für die Scientologykirche zu hindern.
Diesem Nucleus zugeordnet wurde auch die Hedonomik, der wiederum jüngere vielversprechende Wissenschaftler subsumiert wurden, die auf den Gebieten creative industries, animation und games design bereits seit ihrer Schulzeit beträchtliches geleistet hatten. Um nicht diesen Nucleus durch zu viele Neologismen der Verständnislosigkeit künftiger Sponsoren preis zu geben, wurde auch eine Professur für Tourismus- und Freizeitmanagement ausgeschrieben. Diese sollte Sport, Freizeit, Tourismus, Gastfreundschaft und Freilufterziehung einschließen. Sie sollte einmal die regionalen Beziehungen zum ostwestfälischen Kulturraum pflegen, zum andern aber auch global tibetische Klöster, Bergsteigen in Neuseeland und Wattwanderungen in Ostfriesland einbeziehen. Sie sollte einmal mit Borussia Dortmund und ein wenig auch mit Arminia Bielefeld zusammenarbeiten, zum anderen aber auch auf diesem Gebiet über den Tellerrand sehen. Man sollte dann mit dem Laptop auf dem Schoß an der Ems sitzen, Servicemanagement und Dienstleistungsbereitschaft in ihn hineintippen und dann die Firma Schott und England gründen.
In der Ausschreibung wurde von der/dem zu berufenden Professor/in erwartet, dass sie/er die bereits zu diesem frühen Zeitpunkt gewonnene nationale Reputation der Johannes-Universität in die internationale Arena trage, den Forschungsethos und die Erfolge weitertrage, Aufbaustudien entwickele, die dem Renommé des Kernstudiums entsprächen und die Entwicklungschancen der Universität und des ostwestfälischen Raumes kapitalisierten. Sie/er solle sicherstellen, dass diese Professur eine konsistente und klare Vision ihrer Ziele vermittele, und die geeigneten Strategien zur Verwirklichung dieser Ziel sollten entwickelt und implementiert werden. Daher müsse die/der künftige Stelleninhaber/in substantielle Erfahrungen auf dem Gebiet akademischer Führerschaft mitbringen, ebenso wie die Fähigkeit, im Interesse der Professur und Gesamtuniversität strategische Möglichkeiten für die Entwicklung dieses zentralen Studienganges zu erkennen, zu finden und zu implementieren. „Als natürlicher Führer werden sie andere inspirieren, neue Initiativen zu entwickeln!“ Auch für diese Stelle machte sich Inez Jentner für Frau Siborska stark.
In dieser Gründungsphase, in der die Weichen für „unsere“ Universität gestellt werden mußten und vor allem konnten, dachte natürlich auch Karl als Gründungsrektor an seine Freunde. Für ihn als byzantinischen Geist war Interkulturalität schließlich eine Selbstverständlichkeit, und er hatte eine Liste möglicher Kandidaten im Kopf, die er nach ihrer äußerlichen Kompetenz zunächst in seinem Inneren hatte Revue passieren lassen. Schließlich hatte er bei Sluggan, einem irischen Freund, vorsichtig nachgehakt. Sean Sluggan, jener berühmte Konfliktforscher und Gegner Samuel Huntingtons, den er mehrfach in Wien getroffen hatte, in einer Zeit, als man dabei war, mit sanften Worten und ökonomischen Versuchungen die ungarischen Grenzminen zu entschärfen, der die unterschiedlichsten Marken von Slibovitz mit geschlossenen Augen identifizieren konnte, ohne Wirkung zu zeigen, und im Anschluß an solche Abende mit sanfter Eleganz seinen Morris durch Wien steuerte. Nicht gerechnet hatte er mit der Nichte des Regierungspräsidenten, gegenwärtig Kulturdezernentin einer westdeutschen Großstadt mit makellosen Papieren, die in vieler Hinsicht die Gütersloher Pläne bereits vorweggenommen hatten, die von einem der potentiellen Stifter zu einer Bewerbung aufgefordert worden war. Doch er kannte sie gut genug, um ihren Ehrgeiz auf eine Professur in der Provinz zu zügeln, indem er ihr diskret bei einem wissenschaftspolitischen Treffen die schwache Basis der hochfliegenden Pläne insinuierte, so erfolgreich, dass sie sich selbst mit überzogenen Forderungen disqualifizierte. Dies bedeutete, dass für die Nichte und Sean andere Professuren geschaffen werden mußten. Frau Inez Jentner hatte Frau Siborska vorgeschlagen.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen