Der Gründungssenat
Ein Teil der bisher referierten Diskussionen und Entscheidungen wurde im Vorfeld der Universitätsgründung geführt und getroffen. Nachdem Karl mit detaillierten Plänen und schriftlichen Ausführungen, die viele tausend Seiten umfaßten, die Landesregierung und den Landtag Nordrhein-Westfalens nach einer mehrwöchentlichen Anhörung vor dem Wissenschaftsausschuß desselben vom Sinn und von den Möglichkeiten hatte überzeugen können, nachdem Exekutive und Legislative des Landes den Verlockungen des Stiftungsversprechens gefolgt waren, und nachdem auch das lokale Unternehmertum der Verführung erlegen war, war ein Gründungssenat berufen worden, in dem hoffentlich willfährige Vertreter der deutschen wissenschaftlichen Szene und der relevanten gesellschaftlichen Gruppen vertreten waren. Nach britischem Vorbild wurde an die Spitze der Universität ein Kanzler gestellt, der wie im Vereinigten Königreich Margaret Thatcher oder Prinzessin An¬ne niemand anders sein konnte als die wichtigste Persönlichkeit der Stadt.
In erster Linie seine Verfügungsrechte über das Stiftungsvermögen, aber auch zur Rechtfertigung sein akademischer Hintergrund einer Professur für außereuropäische Geschichte an der Universität Nikosia in den frühen neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts und davor in Berlin, machten Karl zu einem natürlichen Mitglied und Wortführer im Gründungssenat. Der Ministerpräsident behielt sich vor, qua Amt wohlwollendes und richtungsweisendes Mitglied zu sein, doch ließ er sich regelmäßig durch den Staatssekretär des Wissenschaftsministeriums, dem beurlaubten Professor für Festkörperphysik der Universiät Essen, Frieder Friedhelm, kompetent vertreten. Selbstverständlich war auch die Mitgliedschaft der Stadt Gütersloh und der beiden größten Wirtschaftsunternehmen der selben Stadt.
Die weitere Zusammensetzung ergab sich aus dem Zwang zu Kompromissen, Vor¬schläge Karls, der Landesregierung und Wünsche von Institutionen und Einzelpersonen, die sich für wichtig hielten, miteinander in Einklang zu bringen, um so eine mögliche Opposition von außen zu vermeiden. Die Pluralität unserer deutschen Gesellschaft wurde widergespiegelt, durch die Teilnahme eines ehemaligen Gründungssenatsmitglieds der Hochschule in Vechta und Schulfreund Karls, Gerhard, mit dem er die Schulzeit auf derselben Bank Radiergummi schießend verbracht hatte, jetzt das akademische Alphabet ausfüllend. Insgesamt wurden hier zusammengefaßt, die mit der Gründung ihre eigenen Interessen zum Wohle Güterslohs, der Jugend Deutschlands und der Wissenschaft verfolgten. Als Ergebnis eines Kompromisses begegnete Karl auch wieder Inez Jentner im Gründungssenat. Wie viele andere an dieser Ernennung mitgewirkt hatten, konnte er nicht eruieren, aber zumindest die Bildungsministerin des Landes hatte nicht nur einem verspäteten Geschlechterreflex folgend auf Inez Jentners Mitwirkung bestanden. Doch war es möglicherweise auch eine ganz natürliche Entscheidung. Die Bereitwilligkeit Inez Jentners, öffentliche Aufgaben zu übernehmen – „hier bin ich“ – und überdies diese dann effizient zu bewältigen, war bei allen Vorbehalten ihr gegenüber auch von Karl nicht zu bestreiten, vielleicht konnte man sogar verstehen, dass Dritte von einem gewissen Charme sprachen, wenn sie die Art beschrieben, mit der sie sich im Interesse des Ganzen in den Vordergrund schob. Dann wurde ihre schließliche Rigidität ebenso vergessen wie ihre Mehrfachrolle als Chefin und Mitglied einer Neapolitinarum latronum gregis, wenn es um sie selbst betreffende Belange ging.
Wenn sie dann aber mit dem Taxi vom Hauptbahnhof zur Universität fuhr, hatte sie einen netten, grobschlächtigen Chauffeur. Er hatte Abgeordnete mit seinem Wagen von A nach B gefahren, mußte aber zunächst auf den Wagen eines prominenten Politikers warten. Als er nach zehn Minuten Warten bemerkte „der kommt wohl nicht aus dem Arsch raus“, verließ Inez Jentner politisch korrekt und mimofantisch empört den Wagen und erstattete Anzeige. Als er später im Gericht eben¬falls warten mußte und das Gleiche von sich gab, wurde er freigesprochen, weil solche Äußerungen offensichtlich zu seinem Idiolekt gehörten.
Mehrfach hatte die Jentner bewiesen, dass sie die Kunst der politischen Verführung und die Ausnützung der Unlust der anderen, sich um das sogenannte Ganze zu kümmern, verstand. Wobei aber unklar blieb, wie oft sie Entscheidungsträgern eine Kopie des eigenen Hausschlüssels geschickt hatte, „du entkommst mir nirgendwo“, nachdem sie vorher mit großer Hilfsbereitschaft, die Blumen begossen, den fast tauben Hund ausgeführt oder gar Kinder gehütet hatte. So schwer war es nicht mit nur geringer krimineller Energie.
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