Systematik
Es sollte eine Professur sein, die durch eine Persönlichkeit vertreten wurde, die in der Lage war, nicht nur die Logik zu vermitteln, die darin besteht zu beweisen, dass die Luft aus einem Reifen entweicht, wenn man das Ventil öffnet, vielmehr sollten sehr viel komplexere Zusammenhänge erschlossen werden, die Folgen des Subventionsabbaus für die Konjunktur, die Folgen der Privatisierung von Krankheit und Bundeswehr, die Folgen, wenn der Staat wieder loslassen kann, die Folgen des Billiardeffekts, wenn die Erde durch einen Asteroiden aus ihrer Bahn gerollt würde. Diese Persönlichkeit sollte Velikovsky und Röpke ebenso kennen wie Hajek, Popper und Helpach, die Karl in einem Trierer Antiquariat als die seinen einträchtig nebeneinander wiedererkannte. Er sollte als Praktiker die Konsequenzen eines versagenden Violinisten für das ganze Orchester, als ehemals als solcher tätig die Folgen öffentlich gemachter Ratschläge von Analysten lehren. Kurzum er sollte in der Lage sein, eine handhabbare Theorie der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Praxis bis hin zum Medium der „Stillen Post“ als Instrument zum Kanzlersturz als Rezept zu vermitteln. Sollte etwa der Moralität im politischen Handeln die Legalität vorgezogen werden? Dies sollte neben Global Governance die zweite wichtige Professur sein, besetzt mit einem Mozart der Wissenschaften.
Karl war unausgesprochen mit den anderen Mitgliedern des Gründungssenats einig, dass auf diese Position jemand berufen werden sollte, der zu groß war, um ein Netzwerk weiter zu benötigen, naiv genug war, seine Größe falsch einzuschätzen. Es sollte mindestens ein Leibniz-Preisträger sein, ein Nobelpreisträger gar, aus dem elitären Topf der denkenden Wirtschaftspreisträger. Und schließlich sollte seine Internationalität deutsche Wurzeln haben, die die UNO, UNESCO, WTO einschlossen, die WHO oder ILO ebenso geprägt hatten wie die heimische Entwicklung. Diesen Mann – und diesmal war es ein Mann – gab es, man mußte ihn nur gewinnen, ihn aus seinem Bamberger bischöflichen Palais hervorlocken, ihn mit einem der Schlösser in der Umgebung als Privatresidenz versuchen. Dies war Peter Schneider, der nicht nur tatsächlich so hieß, sondern der seine Professur nicht nur als Bekenntnis, vielmehr als höchste Berufung verstand, der in einen Arbeitstag von vier Uhr früh bis zwanzig Uhr abends nicht nur die Befriedigung seiner Studenten stecken konnte, sondern zusätzlich Seminare zur Weinerkennung und zum Essen, um die Geschmackszellen auf der Zunge zu identifizieren, zur Theorie der Musik als emanzipierter Kunstgattung abhielt, ganz zu schweigen von seinen synaesthesistischen Versuchen, der Musik und ebenso einem grauen Tag Farbe zu verleihen, mit Ministerpräsidenten und gelegentlich Ministern konferierte, sie beriet, politische und wissenschaftliche Papiere schrieb und über all dies hinaus mit seiner Familie, einer Frau und drei Töchtern, kommunizierte und joggte.
Es würde nicht leicht sein, ihn aus seinem Bamberger Refugium und aus seiner prachtvollen Schale herauszureißen. Es mußten Verlockungen geschaffen werden, die denen der großen renommierten amerikanischen Universitäten entsprachen. Diesen hatte er bisher patriotisch – ein wieder erlaubtes Wort in Deutschland – widerstanden, um seine Töchter in deutschen Gymnasien belassen zu können und die deutsche bisherige Alterssicherung nicht aufzugeben. Wenn dies nicht nur die bösen Zungen weniger erfolgreicher Kollegen waren, dann hatte Gütersloh gegen¬über den Amerikanern einen unvergleichlichen Vorteil. Hier konnten die deutschen Bundesgesetze gelten.
Widerstände gegen diese Professur, die dahingehend geäußert wurden, dass es schwer genug sei, die Werke frei umhergehender Philosophen zu erklären, unmög¬lich aber bei denen, die an der Kette liegen, wurden wegen Unverständlichkeit ge¬plättet. Inez Jentner setzte sich für Frau Siborska ein. Van Groningen war ein weiteres Mitglied der Professorenschaft und damit oft Mitglied der Berufungskommissionen. Nachdem er von den Melungeons gelesen und diese in ihrer Heimat in Ost Kentucky aufgesucht hatte, fragte er jeden Kandidaten für eine Professur nach der Mőglichkeit türkischer Wurzeln bestimmter Wőrter, diese Mal, ob Kentucky vielleicht tatächlich aus „Kan tok“ – gefüllt mit Blut entstanden sei.
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