Für Charles
Duff
„A Handbook
on Hanging Being a short Introduction to the fine Art of Execution, containing
much useful Information on Neck-breaking, Throttling, Strangling, Asphyxiation,
Decapitation and Electrocution; Data and Wrinkles on Hangmanship; with the late
Mr. Hangman Berry’s Method and his pioneering List of Drops; to which is added
an Account of the Great Nuremberg Hangings; a Ready Reckoner for Hangmen; and
many other items of interest including the Anatomy of Murder by Charles Duff of
Gray’s Inn, Barrister-at-Law. Finally Definitive Edition. Diligently Compared
and Revised in Accordance with the Most Recent Developments in the Art. All
very Proper to be read and kept in every Family.“ (Ausgaben 1928, 1934, 1938,
1948, 1954, 1955 und nach dem Klappentext eine deutsche Ausgabe „Henkerfibel“
1931 unter der Verantwortung von Berthold Brecht, so gründlich von den Nazis
verbrannt, dass zuminest 1961 kein überlebendes Exemplar bekannt war. Unter
„Some Press and Other Opinions“ wird auch Dylan Thomas mit einem ich denke
zutreffenden, wenn auch nicht sehr erhellenden Ausspruch zitiert „A minor
classic“)
Übrigens:
Ganz so tüchtig scheinen die Nazis doch nicht gewesen zu sein. Heute, am 15.
September 2012 konnte man die deutsche Ausgabe bei ebay für € 255 erwerben.
Es war
einmal... So müssen nicht nur Märchen beginnen, sondern auch um einen Report
über Ereignisse aus einer jüngeren Vergangenheit einzuleiten, kommen diese drei
Wörter zupass, aus einer Zeit, in die die Anfangsgründe der Reichseinigung fallen,
als die scheinbaren schöpferischen Möglichkeiten eines Aufbruchs vertan wurden.
Es gab tatsächlich Leute, die dachten, daraus und vor allem aus der
Wiedervereinigung der beiden Teile Berlins könnten auch aus der vorhandenen
Wissenschaftslandschaft zunächst neue Impulse und dann neue Formen
emporwachsen. Wann sonst als in einer friedlichen „Revolution“ hätten zwei
Teile einer Stadt die Chance zu einem Neuanfang und zu Reformen gehabt?
Ich denke
nicht, dass dies nicht von manchen und selbst von Verantwortlichen gesehen
worden wäre, denn es kann doch nicht bloße Spielerei gewesen sein, die
anerkannte oder auch nur angenommene Elite deutscher wissenschaftlicher
Institutionen über Monate und Jahre damit zu beschäftigen, Bestandsaufnahmen zu
machen, einseitig das östliche, da das westliche per definitionem gut war,
Erbteil zu bewerten bzw. mit einem der heutigen Lieblingswörter, zu evaluieren,
die lokalen und kosmopolitischen Eliten zu befragen, um schließlich
Strukturpläne zu entwerfen, zu diskutieren und vorzulegen.
Dagegen
erhoben sich vorgreifend, zeitgleich und erfolgreich destruktiv die
versammelten Stimmen der mächtigen Schrebergärtner, vorallem im Einzugsgebiet
der sympathischen Domäne Dahlem. Sie waren jedoch keineswegs die einzigen. Die
politisch aktiven Kräfte der Stadt und die Kosmopoliten aller Länder
einschließlich derer aus der Humboldt-Universität beriefen sich auf den
verspäteten Namenspatron der Universität auf Unter den Linden als genüge dieser
Name, um all die Geister zu beschwören, die seit 1933 diese Universität
heimgesucht hatten. In einigen wenigen Fächern, die ich etwas überschaue,
wurden gar Traditionen begründet, die sogar noch die allerdings nie korrekt so
benannte Friedrich-Wilhelms-Universität in wundersamer Weise legitimieren.
Man sah sich
gelegentlich im Stande, den eigenen Hinterhof erfolgreich den Dahlemer
Schrebergärten gegenüberzustellen, sogar zeitweilig Terrain zu gewinnen, wenn
auch oft nur psychologisch. So war eines der schönsten dokumentierbaren Erlebnisse
des Jahres 1992 der öffentliche Empfang bei der Jahrestagung der
Alexander-von-Humboldt-Stiftung im Haus der Kulturen der Welt, als die Rektoren
und Präsidenten der Berliner Hochschulen unter Ausschluss des Vertreters der
größten Berliner Lehranstalt vom Präsidenten der Stiftung dankbar begrüßt
wurden. Einen Augenblick zumindest schien die Freie Universität gar nicht zu
existieren, oder sie hatte sich in den Personen ihrer Repräsentanten zeitweilig
aus der Geschichte verabschiedet. Masse, Autonomie und ein blinder Rechtsstaat
haben glücklicherweise verhindert, dass daraus eine längere Ewigkeit wurde
bzw., dass der Teufel durch den Beelzebub ersetzt wurde. Im Gegenteil, beide
sind uns erhalten geblieben. Die Freie Universität arrondierte ihren Besitz,
die Humboldt-Universität versuchte sich als west-östlicher Divan, auf dem
allerdings einige schmerzhafte Allokationen vorgenommen werden mussten, die
manchmal fast vermuten lassen, dass so einige der leichtfertig gewährten Gratifikationen
wieder zurückgenommen werden sollten.
Denn es
hatte sich herausgestellt, dass der keineswegs blinde politische Aktionismus,
der für jeden Nichtbetroffenen einsehbar versuchte, ein
Wissenschaftsverbundsystem in Berlin zu schaffen, das die modernen Aus- und
Bildungsanforderungen zumindest als zu berücksichtigenden Faktor und die
Notwendigkeit, im Rahmen eines sozial-marktwirtschaftlichen Systems auf
Kostenrechnung nicht völlig zu verzichten, nicht ganz aus den Augen verlor, an
den partikularen und individuellen Egoismen zerschellte. Des deutschen
Intellektuellen Lieblingsvokabular von Kritik bis Solidarität entpuppte sich in
seiner ganzen Hohlheit als totalitäre Massenpsychologie von Lichtern in der
Nacht und Scheu vor dem hellen Tag. Im Ergebnis führte dies zum explizierten
Verständnis der politischen Entscheidungsträger für die legitimen Interessen
der Berliner Universitäten, implizit jedoch zur Kapitulation vor den
partikularen Interessen und zur Rücknahme rationaler und gesellschaftlich sinnvoller
Entscheidungen. Eine mittel- und langfristige Folge war einsehbar die
Steinbruckmethode, dort, wo etwas locker bzw. etwas verfügbar war, wegzuhacken.
Satt und noch satter blieben die Insider, die Mitglieder der Wir-Gruppe, die in
Ost- und West-Berlin unter gar nicht einmal so verschiedenen Voraussetzungen –
beide befanden sich allzu lange in einer mit schönem Käse gefüllten Mausefalle
– durch eine nur marginale (man ist ja kritisch), aber hinreichende
Zugehörigkeit zu den jeweiligen politischen Systemen, der Präsenz im
Zwiebelfisch oder in der Möwe, den gekonnten pervertierten Umgang mit
ursprünglich demokratisch konzipierten Institutionen und die Verteidigung des
heiligsten Guts der universitären Autonomie sich selbst zufriedenstellten.
Die große
Chance eines Neubeginns gab es in Berlin nicht nur für den Ostteil der Stadt,
so wie es sonst in der Regel – vielleicht leider – nur für die neuen
Bundesländer galt, sondern auch für den Westteil. Daher wurde sie auch in
beiden Teilen Berlins vertan, und zwar von den Berlinern oder den so Genannten
selbst. Zuviel ist bereits über die niedergerissenen Nischen – war es denn nicht die Mauer, die wegsollte? – gesagt und geschrieben worden, und dennoch,
die Verlustängste in Dahlem passten in eben dieses Bild, der Verlust der
Narrenfreiheit, die glücklicherweise nicht von allen, wohl nicht einmal von der
Mehrheit, aber eben doch von einer bemerkenswerten Zahl missbraucht worden war.
Selbst der Bericht der Landeshochschulstrukturkommission, das war die oben
genannte anerkannte Elite, konnte zu einem Fach an der Freien Universität, das
zum Standardrepertoire gestandener Universitäten überall auf der Welt gehört,
nur bemerken, dass es so einzigartig sei, dass es seinen Professorennachwuchs
selber ausbilden müsse. Vieles in dem genannten Bericht wurde auch von den
Vertretern dieses Faches kritisiert und als intellektuell unterbelichtet
verspottet. Die Hinterfotzigkeit im Kommissionsbericht entging ihnen, weil sie
und mit ihnen leider auch andere die eigene Einzigartigkeit so sehr
internalisiert hatten, dass Kommunikation nur noch mit dem eigenen Spiegelbild
gesucht wurde, weil nur dieses uns überhaupt verstehen konnte. Nicht immer
wurde es den lokalen Verbünden an der Freien Universität so deutlich ins
Stammbuch geschrieben wie von einem auswärtigen Hochschullehrer, der eine
gutachterliche Tätigkeit ablehnte, solange der Fachbereich sich nicht zu einem
diskreteren und weiter gefassten Ausschreibungstext entschließen könne. Intern
wurden nicht einstimmige Voten zum Zwecke der Selbstbefriedigung als Erfüllung
des Straftatbestands der Illoyaliät gegen den Geist der Gemeinschaft in der
Gemeinschaft gewertet, nicht eindeutige Stellungnahmen für die Wir-Gruppe
wurden schmerzhaft wahrgenommen und ihrerseits mit Liebesentzug geahndet.
Im Folgenden
beschränke ich mich auf die Freie Universität, die ich gewiss nur aus der
Froschperspektive wahrgenommen habe, aber zumindest in Teilen besser kenne als
die Technische Universität oder die Humboldt-Universität.
Oft blickte
ich neidvoll auf die erstgenannte, und ich war als Außenstehender eher bereit,
Irrationalitäten, die auch dort vorkamen, duldsam amüsiert zu ertragen. Selbst
in den dort vertretenen Geisteswissenschaften schien der Pragmatismus der
technischen Disziplinen Fuß gefasst zu haben, so dass mir von einem Germanisten
klar gemacht wurde, dass ein chinesischer Student doch qua Herkunft
qualifiziert sei, Fragen zum traditionellen chinesischen Prüfungssystem richtig
zu beantworten. Weniger neidvoll blickte ich auf die Humboldt-Universität, an
der einen Großteil der Westberliner Kollegen auch nach Jahren noch der spezifische
Lysolgeruch störte, eine fraglos in der Realität verankerte Idiosynkrasie wie
meine eigene schnüffelnde Beobachtung, dass ein Zweiter-Klasse-Abteil
Nichtraucher der Deutschen Bahn immer nach hartgekochten Eiern roch, etwas, was
heute hinfällig geworden ist, da das tertium comparationis fehlt. Meine Neidlosigkeit
ergab sich aber eher aus dem überaus schleppenden Konsolidierungsprozess, der
zermürbend auf jeden Erdenmenschen wirken musste, aus den kaum zu verhindernden
Hintergedanken und speziellen Intrigen, diesen natürlichen Kopfgeburten eines
untauglichen Einigungsprozesses.
Ganz
unberührt konnte man auch an der Freien Universität nicht von der
Humboldt’schen Problematik bleiben. In der Frühphase der Wiedervereinigung, als
durch die veränderte Situation auch der Westberliner ennui einen kuzen
Vitaminstoß erhielt, hielt man sich je nach Stand seinen „Ost“-menschen im Zoo,
allenfalls gestört durch die Gauckbehörde. Der Fuß in der Tür war zu wichtig,
und sehr schnell lernte man – ich fürchte dem Stand unserer Zivilisation
entsprechend –, diese Wesen zu instrumentalisieren und in einer letzten Phase
nach Einvernahme der Geschickten und Nützlichen die Letzten lediglich
plattzumachen. Ich hoffe, ich bin überzeugt und glaube zu wissen, dass nicht
überall und auch nicht von allen an der Freien Universität dieses Schema
praktiziert wurde, in dem Ausschnitt, den ich aus meinem Brunnenloch sehen
konnte, war es jedoch so.
Die Humboldt-Universität
war in mancher Hinsicht Nutznießerin unausgegorener Vereinbarungen während des
ost-westlichen Einigungsprozesses. Nicht nur für eine Erneuerung schufen die
Politiker einen Nährboden, sondern ebenso für die erfolgreiche Selbstbehauptung
großer und keineswegs immer wünschenswerter Teile der Universität.
In ähnlich
glücklicher Lage waren Angehörige anderer Institutionen, für die eine
grundsätzliche Entscheidung über ihren Erhalt nicht gefällt worden war, nicht.
Davon gab es mehrere, aber ich möchte mich auf die alte Akademie der
Wissenschaften und ihre Angehörigen beschränken. Auch hier war mein Eindruck
von außen, dass Kostbarkeiten aus der Zeit vor dem DDR-Staat relativ einmütig
aus dem Körper herausgeschält wurden – ein ganz anderes Problem waren die damit
verbundenen vielleicht nur vereinzelten Bemühungen der lokalen Eliten der
gesamten Republik, sich zu Schleuderpreisen mit fremden Federn zu schmücken und
sie daher unnötig zu zerzausen, der Rest mit seinen singulären nicht
wahrgenommenen Perlen, dem Gerüst, das zunächst das Ganze im Innersten
zusammenhielt und dem selbstverständlich in jeder Institution vorhandenen
überflüssigen Ballast über die Tischkante hinausgeschoben wurde. Um den freien
Fall abzubremsen, schufen die politisch Verantwortlichen – und insofern sind
die Politiker, wenn sie nicht (s.o.) einer Lobby Rechenschaft und vor allem
Liebesdienste schuldig sind, besser als ihr schon immer ramponierter Ruf – ein
sogenanntes befristetes Wissenschaftlerintegrationsprogramm, in das nach der
Aschenputtelmethode die zunächst pauschal, dann individuell von westlichen
Kollegen positiv eingeschätzten Wissenschaftler hineinfielen. Die
Ausführungsbestimmungen zu diesem Programm bestärkten mich in meiner bereits
angedeuteten Vermutung, dass nicht neuer Politiker, sondern eines neuen Volkes
dieses Land bedürfe. Das Programm war so konzipiert, dass zwar die lebenslange
Perspektive der alten Akademie nicht mehr bestand, dass aber die Betroffenen
über einen Zeitraum von fünf Jahren den normalen westdeutschen Mittelbauusancen
entsprechend die Chance zur weiteren – in diesem Falle – Profilierung in
Forschung und Lehre erhielten, um dadurch eventuelle Wettbewerbsnachteile im
Kampf um die wissenschaftlichen Stellen auszugleichen, Entscheidungen für
Alternativen zu fördern oder den sozial und psychisch verträglichen Übergang in
die Rente zu ermöglichen, nach einem Auslaufprogramm für die Akademie fraglos
eine zweitbeste Lösung. Das Programmdesign war darüber hinaus hinreichend differenziert,
um nic ht zu sagen ausgeklügelt. Finanziert wurde es im Verhältnis 3:1 vom Bund
und den betroffenen Ländern mit Mitteln, die ausschließlich für dieses Programm
ausgewiesen waren.
Zwei Jahre –
bis Ende 1993 – wurden die Mittel in gesonderter Trägerschaft verwaltet. In
dieser Zeit sollte versucht werden, für die folgenden Jahre bis einschließlich
1996 eine befristete Integration an einer Hochschule oder einer ähnlichen
wissenschaftlichen Einrichtung in den neuen Bundesländern und Gesamtberlin zu
erreichen. Da der Gesetzgeber nach menschlichem Ermessen einsehbar davon
ausging, dass eine zweijährige Worfelphase genüge, um die Spreu vom Weizen zu
trennen, machte er die Förderung über volle fünf Jahre von der soeben genannten
Integration abhängig. Nicht bedacht hatte er, da diese Regelungen getroffen
wurden, als wir noch ganz natürlich in den Kategorien schwarz und weiß dachten,
dass Neid, Egoismus und schlichte moralische Verderbtheit auf „unserer“ Seite
ebenso verbreitet waren wie überall. Leider nämlich wurden in die Erläuterungen
zur Umsetzungs des Programms juristische Vorbehalte eingebaut, die es
unwilligen universitären Gremien oder einzelnen Angehörigen eben dieser leicht
machten, an der Seriosität des Programms zu zweifeln. Lange war die
Ausfinanzierung des Programms zwar bis 1996 zugesichert, aber nicht gesichert.
Natürliche Ängste wurden geschürt, dass im Rahmen legitimer öffentlicher
Sparorgien die aus dem Programm finanzierten Stellen auf die planmäßigen
Stellen angerechnet werden könnten. Unter Nichtberücksichtigung der speziellen
und im Prinzip diskreditierten Situation der im
Wissenschaftlerintegrationsprogramm zusammengefassten Personen wurde
stattdessen der westliche Mittelbau auf sein mögliches Neidpotential hin
getestet und für geeignet befunden, die Privilegierung der ostdeutschen
ehemaligen Akademiker zu geißeln. Ein letztes und oft unschlagbares Argument
waren der fehlende Stuhl und Tisch, deshalb so schwer zu entkräften, weil es
offensichtlich – und nicht nur in den Hochschulen – keine gesicherte Methode
gibt, Raumnot und Raumverschwendung sinnvoll auszugleichen. Konnten diese
Argumente insgesamt durch Appelle an das soziale Gewissen abgeschwächt werden,
wurde die nächste Verteidigungslinie des Schrebergartens aufgebaut. Die
Gefährdung unserer Einzigartigkeit durfte nicht zugelassen, der Ansatz nicht in
Frage gestellt werden. Das eigene Profil könnte verwischt werden. Eine solche
Verunsicherung westlicher Wissenschaftler durch für immerhin drei Jahre, in
denen die Welt untergehen könnte, zeckig in den Pelz gesetzte östliche
Wissenschaftler mit anderen als den eigenen Interessen- und Arbeitsgebieten,
das hätte andererseits eine ebenso unzulässige, weil gefährliche Doppelung
bedeutet und wäre für die Erstgenannten eine unerträgliche psychische Belastung
geworden.
Am entsetzlichsten
war, dass diese Argumente unter der Käseglocke der Freien Universität für
hinreichend gehalten wurden, um sich den politischen, sozialen und
wissenschaftlichen Verpflichtungen, die sich aus der Reichseinigung ergaben und
die selbst von der kalten geschäftsmäßigen Tagespolitik anerkannt wurden, zu
entziehen. Dass kollegiale Gegensätze und das Kalkül mit Mehrheiten in der
gremialen Gruppenuniversität mit recht großer Sicherheit die eigentlichen
Gründe dafür waren, dass Schwächere weggebissen bzw. gar nicht erst an die
Fleischtöpfe, die niemendem etwas wegnahmen, gelassen wurden, wurde von den
verschiedenen Entscheidungsebenen in der Universität diskret übersehen, bzw.
orientierte sich niemand mehr an den Lichtgestalten der Geschichte, sondern
jeder hatte den handlichen Opportunismus Pontii Pilati internalisiert.
In meinem
Fachbereich gab es aus verschiedenen inneruniversitären und von der Akademie zu
verantwortenden Gründen zunächst nur zwei Anträge auf Integration durch zwei
ehemalige Wissenschaftler aus der Akademie. Der eine Antrag wurde Ende 1991,
der andere im Januar 1993 gestellt, beide für die gleiche Fachrichtung. Beide
Antragsteller fanden in mir offensichtlich einen inkompetenten Befürworter
ihrer längst im Abwicklungsverfahren der Akademie für gut befundenen
Forschungsprojekte. Diese bildeten den eigentlichen Arbeitsauftrag an die
ehemaligen Akademiker, zur Lehre sollten sie nach Absprache herangezogen werden
können. Dem Fachbereich dies zu vermitteln war mir nicht möglich, vielmehr
wurde mit einer Kaskade bereits erwähnter Argumente die Gefährdung der
Einzigartigkeit auch dieses Faches an der Freien Un iversität beschworen, falls
nicht den Anfängen gewehrt werde. In Marc Anton’scher Manier wurden die
Antragsteller zu ehrenwerten Männern und das Fach zu Kavafis‘ Alexandria. So
perlten die Argumente innerhalb der Wir-Gruppe vom einen zum anderen, indem
Behauptungen aufgestellt und zögernd wieder zurückgenommen wurden, um erneut
vorgebracht zu werden und um so eine Nebelwand zu errichten, hinter der jedes
menschliche Schicksal zur Bedeutungslosigkeit verkümmerte. Hier ging es nicht
um die Verteilung des Mangels, sondern um eine großzügige kostenlose Geste
eines universitären Gremiums. Und dennoch wurde in einem Mai daraus ein
schweres, bedenkenvolles Zugeständnis, das nur für den Unbeteiligten ausgeprägt
karnevalistische Züge trug: Wollen wir sie hereinlassen? Wir lassen einen
herein!
Dass hier
nicht der Spielfilm des Fernsehabends auf dem Programm stand, sondern eine der
irreversiblen Meldungen der Tagesschau,war glaube ich – hoffe ich – dem größten
Teil der anwesenden Entscheidungsträger nicht bewusst. Und um den
dramaturgischen Effekt zu erhöhen, denn man hatte diese Art Inszenierungen seit
den späten sechziger Jahren eingeübt und beherrschte sie, wurde der Befürworter
beider Anträge zum Henker bestimmt – oder war ich als einziger Laiendarsteller
das Volk, dem Pontius Pilatus die Wahl überließ? Selbst meine Weigerung vor der
Bestellung zu diesem ehrenvollen Amt, dem Charles Duff bereits 1928 ein so
monumentales Denkmal setzte, dieses auch zu übernehmen, hielt die Mehrheit des
Fachbereichsrats nicht davon ab, mich dennoch hierfür für würdig zu halten.
Noch im
selben Mai hatte ich mich an den Präsidenten der Freien Universität und die universitäre
Rechtsabteilung gewandt, um zu erfragen, ob nur ich die Entscheidung des
Fachbereichsrats nicht erfassen könne. So war es. Der August kam ins Land, drei
Wochen nach der Vorlesungszeit, und ich bekam Bescheid von der Rechtsabteilung,
die Ausrichtung eines Faches sei ein höheres Gut als im Kleinen dazu
beizutragen, die Vereinigungswehen etwas weniger schmerzhaft zu gestalten. Im
selben Monat August bekam ich ein Schreiben des Dekans an die
Universitätsverwaltung keineswegs selbstverständlich, sondern auf
verschlungenen Wegen zu Gesicht, in dem angesichts meiner Untätigkeit nun
wiederum die Universitätsverwaltung gebeten wurde, einen der beiden
Antragsteller hintenrüber zu kippen. Diese nun wollte völlig verständlich nicht
die Drecksarbeit für andere verrichten und gab den Schwarzen Peter wahlweise an
den Dekan oder mich zurück, mit dem Hinweis, dass, wenn von Seiten des
Fachbereichs oder von mir keine Wahl getroffen werde, der GAU, nämlich keinen
zu integrieren, unausweichlich und die bessere Lösung sei. Bis Mitte November
schwiegen der Fachbereichsrat bzw. der Dekan, um eine eindeutige spätere
Schuldzuweisung zu ermöglichen. Seit August hielt ich mit dem zuständigen
Vizepräsidenten losen Kontakt, soweit es sein Urlaub, seine Geschäfte und
Verpflichtungen dies zuließen. Seine Überlegungen gingen dahin, die Integration
beider Antragsteller zu ermöglichen, aber er kam nicht auf den Gedanken, eine
Revision des Fachbereichsratsbeschlusses anzustreben, was den demokratischen
Strukturen der Freien Universität selbstverständlich entsprochen hätte, sondern
er wollte die durch eine mögliche Integration in ihrem Fachverständnis gestörte
Kraft dazu bewegen, aus einem menschlichen Gefühl heraus der Integration beider
Antragsteller zuzustimmen. Damit bin ich etwa wieder beim Zwiebelfisch
angelangt. Dem Vizepräsidenten gelang es nicht. Ich entschied mich für einen
der beiden Antragsteller und betete, für den zweiten noch 1993 eine
Integrationsmöglichkeit zu finden. Bei diesem Versuch traf ich auf viele
integre und hilfsbereite Menschen und Wissenschaftler an der Freien
Universität, an der Technischen Un iversität und an der Universität Leipzig.
Die von der Freien Universität konnten mir nicht helfen, weil das Paket bis
zur Universitätsspitze zu gut geschnürt war. Leipzig erwies sich als unnötig,
und ein Mitglied der Technischen Universität half schnell und „unbürokratisch“.
Ihm werde ich das nie vergessen.
Und doch
musste ich dem einen Antragsteller sagen, dass ich mich für den anderen
entschieden hätte. Er explodierte nicht, er wurde noch blasser, noch rat- und
hilfloser, noch durchsichtiger als ich ihn bisher gekannt hatte. Als ob nicht
35 Jahre Zurücksetzung gepaart mit der eigenen Unfähigkeit zur notwendigen
Anpassung genug gewesen wären.
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