Samstag, 15. September 2012

Charles Duff und die FU



Für Charles Duff

„A Handbook on Hanging Being a short Introduction to the fine Art of Execution, containing much useful Information on Neck-breaking, Throttling, Strangling, Asphyxiation, Decapitation and Electrocution; Data and Wrinkles on Hangmanship; with the late Mr. Hangman Berry’s Method and his pioneering List of Drops; to which is added an Account of the Great Nuremberg Hangings; a Ready Reckoner for Hangmen; and many other items of interest including the Anatomy of Murder by Charles Duff of Gray’s Inn, Barrister-at-Law. Finally Definitive Edition. Diligently Compared and Revised in Accordance with the Most Recent Developments in the Art. All very Proper to be read and kept in every Family.“ (Ausgaben 1928, 1934, 1938, 1948, 1954, 1955 und nach dem Klappentext eine deutsche Ausgabe „Henkerfibel“ 1931 unter der Verantwortung von Berthold Brecht, so gründlich von den Nazis verbrannt, dass zuminest 1961 kein überlebendes Exemplar bekannt war. Unter „Some Press and Other Opinions“ wird auch Dylan Thomas mit einem ich denke zutreffenden, wenn auch nicht sehr erhellenden Ausspruch zitiert „A minor classic“)
Übrigens: Ganz so tüchtig scheinen die Nazis doch nicht gewesen zu sein. Heute, am 15. September 2012 konnte man die deutsche Ausgabe bei ebay für € 255 erwerben.

Es war einmal... So müssen nicht nur Märchen beginnen, sondern auch um einen Report über Ereignisse aus einer jüngeren Vergangenheit einzuleiten, kommen diese drei Wörter zupass, aus einer Zeit, in die die Anfangsgründe der Reichseinigung fallen, als die scheinbaren schöpferischen Möglichkeiten eines Aufbruchs vertan wurden. Es gab tatsächlich Leute, die dachten, daraus und vor allem aus der Wiedervereinigung der beiden Teile Berlins könnten auch aus der vorhandenen Wissenschaftslandschaft zunächst neue Impulse und dann neue Formen emporwachsen. Wann sonst als in einer friedlichen „Revolution“ hätten zwei Teile einer Stadt die Chance zu einem Neuanfang und zu Reformen gehabt?
Ich denke nicht, dass dies nicht von manchen und selbst von Verantwortlichen gesehen worden wäre, denn es kann doch nicht bloße Spielerei gewesen sein, die anerkannte oder auch nur angenommene Elite deutscher wissenschaftlicher Institutionen über Monate und Jahre damit zu beschäftigen, Bestandsaufnahmen zu machen, einseitig das östliche, da das westliche per definitionem gut war, Erbteil zu bewerten bzw. mit einem der heutigen Lieblingswörter, zu evaluieren, die lokalen und kosmopolitischen Eliten zu befragen, um schließlich Strukturpläne zu entwerfen, zu diskutieren und vorzulegen.
Dagegen erhoben sich vorgreifend, zeitgleich und erfolgreich destruktiv die versammelten Stimmen der mächtigen Schrebergärtner, vorallem im Einzugsgebiet der sympathischen Domäne Dahlem. Sie waren jedoch keineswegs die einzigen. Die politisch aktiven Kräfte der Stadt und die Kosmopoliten aller Länder einschließlich derer aus der Humboldt-Universität beriefen sich auf den verspäteten Namenspatron der Universität auf Unter den Linden als genüge dieser Name, um all die Geister zu beschwören, die seit 1933 diese Universität heimgesucht hatten. In einigen wenigen Fächern, die ich etwas überschaue, wurden gar Traditionen begründet, die sogar noch die allerdings nie korrekt so benannte Friedrich-Wilhelms-Universität in wundersamer Weise legitimieren.
Man sah sich gelegentlich im Stande, den eigenen Hinterhof erfolgreich den Dahlemer Schrebergärten gegenüberzustellen, sogar zeitweilig Terrain zu gewinnen, wenn auch oft nur psychologisch. So war eines der schönsten dokumentierbaren Erlebnisse des Jahres 1992 der öffentliche Empfang bei der Jahrestagung der Alexander-von-Humboldt-Stiftung im Haus der Kulturen der Welt, als die Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen unter Ausschluss des Vertreters der größten Berliner Lehranstalt vom Präsidenten der Stiftung dankbar begrüßt wurden. Einen Augenblick zumindest schien die Freie Universität gar nicht zu existieren, oder sie hatte sich in den Personen ihrer Repräsentanten zeitweilig aus der Geschichte verabschiedet. Masse, Autonomie und ein blinder Rechtsstaat haben glücklicherweise verhindert, dass daraus eine längere Ewigkeit wurde bzw., dass der Teufel durch den Beelzebub ersetzt wurde. Im Gegenteil, beide sind uns erhalten geblieben. Die Freie Universität arrondierte ihren Besitz, die Humboldt-Universität versuchte sich als west-östlicher Divan, auf dem allerdings einige schmerzhafte Allokationen vorgenommen werden mussten, die manchmal fast vermuten lassen, dass so einige der leichtfertig gewährten Gratifikationen wieder zurückgenommen werden sollten.
Denn es hatte sich herausgestellt, dass der keineswegs blinde politische Aktionismus, der für jeden Nichtbetroffenen einsehbar versuchte, ein Wissenschaftsverbundsystem in Berlin zu schaffen, das die modernen Aus- und Bildungsanforderungen zumindest als zu berücksichtigenden Faktor und die Notwendigkeit, im Rahmen eines sozial-marktwirtschaftlichen Systems auf Kostenrechnung nicht völlig zu verzichten, nicht ganz aus den Augen verlor, an den partikularen und individuellen Egoismen zerschellte. Des deutschen Intellektuellen Lieblingsvokabular von Kritik bis Solidarität entpuppte sich in seiner ganzen Hohlheit als totalitäre Massenpsychologie von Lichtern in der Nacht und Scheu vor dem hellen Tag. Im Ergebnis führte dies zum explizierten Verständnis der politischen Entscheidungsträger für die legitimen Interessen der Berliner Universitäten, implizit jedoch zur Kapitulation vor den partikularen Interessen und zur Rücknahme rationaler und gesellschaftlich sinnvoller Entscheidungen. Eine mittel- und langfristige Folge war einsehbar die Steinbruckmethode, dort, wo etwas locker bzw. etwas verfügbar war, wegzuhacken. Satt und noch satter blieben die Insider, die Mitglieder der Wir-Gruppe, die in Ost- und West-Berlin unter gar nicht einmal so verschiedenen Voraussetzungen – beide befanden sich allzu lange in einer mit schönem Käse gefüllten Mausefalle – durch eine nur marginale (man ist ja kritisch), aber hinreichende Zugehörigkeit zu den jeweiligen politischen Systemen, der Präsenz im Zwiebelfisch oder in der Möwe, den gekonnten pervertierten Umgang mit ursprünglich demokratisch konzipierten Institutionen und die Verteidigung des heiligsten Guts der universitären Autonomie sich selbst zufriedenstellten.
Die große Chance eines Neubeginns gab es in Berlin nicht nur für den Ostteil der Stadt, so wie es sonst in der Regel – vielleicht leider – nur für die neuen Bundesländer galt, sondern auch für den Westteil. Daher wurde sie auch in beiden Teilen Berlins vertan, und zwar von den Berlinern oder den so Genannten selbst. Zuviel ist bereits über die niedergerissenen Nischen – war es denn nicht die Mauer, die wegsollte? – gesagt und geschrieben worden, und dennoch, die Verlustängste in Dahlem passten in eben dieses Bild, der Verlust der Narrenfreiheit, die glücklicherweise nicht von allen, wohl nicht einmal von der Mehrheit, aber eben doch von einer bemerkenswerten Zahl missbraucht worden war. Selbst der Bericht der Landeshochschulstrukturkommission, das war die oben genannte anerkannte Elite, konnte zu einem Fach an der Freien Universität, das zum Standardrepertoire gestandener Universitäten überall auf der Welt gehört, nur bemerken, dass es so einzigartig sei, dass es seinen Professorennachwuchs selber ausbilden müsse. Vieles in dem genannten Bericht wurde auch von den Vertretern dieses Faches kritisiert und als intellektuell unterbelichtet verspottet. Die Hinterfotzigkeit im Kommissionsbericht entging ihnen, weil sie und mit ihnen leider auch andere die eigene Einzigartigkeit so sehr internalisiert hatten, dass Kommunikation nur noch mit dem eigenen Spiegelbild gesucht wurde, weil nur dieses uns überhaupt verstehen konnte. Nicht immer wurde es den lokalen Verbünden an der Freien Universität so deutlich ins Stammbuch geschrieben wie von einem auswärtigen Hochschullehrer, der eine gutachterliche Tätigkeit ablehnte, solange der Fachbereich sich nicht zu einem diskreteren und weiter gefassten Ausschreibungstext entschließen könne. Intern wurden nicht einstimmige Voten zum Zwecke der Selbstbefriedigung als Erfüllung des Straftatbestands der Illoyaliät gegen den Geist der Gemeinschaft in der Gemeinschaft gewertet, nicht eindeutige Stellungnahmen für die Wir-Gruppe wurden schmerzhaft wahrgenommen und ihrerseits mit Liebesentzug geahndet.
Im Folgenden beschränke ich mich auf die Freie Universität, die ich gewiss nur aus der Froschperspektive wahrgenommen habe, aber zumindest in Teilen besser kenne als die Technische Universität oder die Humboldt-Universität.
Oft blickte ich neidvoll auf die erstgenannte, und ich war als Außenstehender eher bereit, Irrationalitäten, die auch dort vorkamen, duldsam amüsiert zu ertragen. Selbst in den dort vertretenen Geisteswissenschaften schien der Pragmatismus der technischen Disziplinen Fuß gefasst zu haben, so dass mir von einem Germanisten klar gemacht wurde, dass ein chinesischer Student doch qua Herkunft qualifiziert sei, Fragen zum traditionellen chinesischen Prüfungssystem richtig zu beantworten. Weniger neidvoll blickte ich auf die Humboldt-Universität, an der einen Großteil der Westberliner Kollegen auch nach Jahren noch der spezifische Lysolgeruch störte, eine fraglos in der Realität verankerte Idiosynkrasie wie meine eigene schnüffelnde Beobachtung, dass ein Zweiter-Klasse-Abteil Nichtraucher der Deutschen Bahn immer nach hartgekochten Eiern roch, etwas, was heute hinfällig geworden ist, da das tertium comparationis fehlt. Meine Neidlosigkeit ergab sich aber eher aus dem überaus schleppenden Konsolidierungsprozess, der zermürbend auf jeden Erdenmenschen wirken musste, aus den kaum zu verhindernden Hintergedanken und speziellen Intrigen, diesen natürlichen Kopfgeburten eines untauglichen Einigungsprozesses.
Ganz unberührt konnte man auch an der Freien Universität nicht von der Humboldt’schen Problematik bleiben. In der Frühphase der Wiedervereinigung, als durch die veränderte Situation auch der Westberliner ennui einen kuzen Vitaminstoß erhielt, hielt man sich je nach Stand seinen „Ost“-menschen im Zoo, allenfalls gestört durch die Gauckbehörde. Der Fuß in der Tür war zu wichtig, und sehr schnell lernte man – ich fürchte dem Stand unserer Zivilisation entsprechend –, diese Wesen zu instrumentalisieren und in einer letzten Phase nach Einvernahme der Geschickten und Nützlichen die Letzten lediglich plattzumachen. Ich hoffe, ich bin überzeugt und glaube zu wissen, dass nicht überall und auch nicht von allen an der Freien Universität dieses Schema praktiziert wurde, in dem Ausschnitt, den ich aus meinem Brunnenloch sehen konnte, war es jedoch so.
Die Humboldt-Universität war in mancher Hinsicht Nutznießerin unausgegorener Vereinbarungen während des ost-westlichen Einigungsprozesses. Nicht nur für eine Erneuerung schufen die Politiker einen Nährboden, sondern ebenso für die erfolgreiche Selbstbehauptung großer und keineswegs immer wünschenswerter Teile der Universität.
In ähnlich glücklicher Lage waren Angehörige anderer Institutionen, für die eine grundsätzliche Entscheidung über ihren Erhalt nicht gefällt worden war, nicht. Davon gab es mehrere, aber ich möchte mich auf die alte Akademie der Wissenschaften und ihre Angehörigen beschränken. Auch hier war mein Eindruck von außen, dass Kostbarkeiten aus der Zeit vor dem DDR-Staat relativ einmütig aus dem Körper herausgeschält wurden – ein ganz anderes Problem waren die damit verbundenen vielleicht nur vereinzelten Bemühungen der lokalen Eliten der gesamten Republik, sich zu Schleuderpreisen mit fremden Federn zu schmücken und sie daher unnötig zu zerzausen, der Rest mit seinen singulären nicht wahrgenommenen Perlen, dem Gerüst, das zunächst das Ganze im Innersten zusammenhielt und dem selbstverständlich in jeder Institution vorhandenen überflüssigen Ballast über die Tischkante hinausgeschoben wurde. Um den freien Fall abzubremsen, schufen die politisch Verantwortlichen – und insofern sind die Politiker, wenn sie nicht (s.o.) einer Lobby Rechenschaft und vor allem Liebesdienste schuldig sind, besser als ihr schon immer ramponierter Ruf – ein sogenanntes befristetes Wissenschaftlerintegrationsprogramm, in das nach der Aschenputtelmethode die zunächst pauschal, dann individuell von westlichen Kollegen positiv eingeschätzten Wissenschaftler hineinfielen. Die Ausführungsbestimmungen zu diesem Programm bestärkten mich in meiner bereits angedeuteten Vermutung, dass nicht neuer Politiker, sondern eines neuen Volkes dieses Land bedürfe. Das Programm war so konzipiert, dass zwar die lebenslange Perspektive der alten Akademie nicht mehr bestand, dass aber die Betroffenen über einen Zeitraum von fünf Jahren den normalen westdeutschen Mittelbauusancen entsprechend die Chance zur weiteren – in diesem Falle – Profilierung in Forschung und Lehre erhielten, um dadurch eventuelle Wettbewerbsnachteile im Kampf um die wissenschaftlichen Stellen auszugleichen, Entscheidungen für Alternativen zu fördern oder den sozial und psychisch verträglichen Übergang in die Rente zu ermöglichen, nach einem Auslaufprogramm für die Akademie fraglos eine zweitbeste Lösung. Das Programmdesign war darüber hinaus hinreichend differenziert, um nic ht zu sagen ausgeklügelt. Finanziert wurde es im Verhältnis 3:1 vom Bund und den betroffenen Ländern mit Mitteln, die ausschließlich für dieses Programm ausgewiesen waren.
Zwei Jahre – bis Ende 1993 – wurden die Mittel in gesonderter Trägerschaft verwaltet. In dieser Zeit sollte versucht werden, für die folgenden Jahre bis einschließlich 1996 eine befristete Integration an einer Hochschule oder einer ähnlichen wissenschaftlichen Einrichtung in den neuen Bundesländern und Gesamtberlin zu erreichen. Da der Gesetzgeber nach menschlichem Ermessen einsehbar davon ausging, dass eine zweijährige Worfelphase genüge, um die Spreu vom Weizen zu trennen, machte er die Förderung über volle fünf Jahre von der soeben genannten Integration abhängig. Nicht bedacht hatte er, da diese Regelungen getroffen wurden, als wir noch ganz natürlich in den Kategorien schwarz und weiß dachten, dass Neid, Egoismus und schlichte moralische Verderbtheit auf „unserer“ Seite ebenso verbreitet waren wie überall. Leider nämlich wurden in die Erläuterungen zur Umsetzungs des Programms juristische Vorbehalte eingebaut, die es unwilligen universitären Gremien oder einzelnen Angehörigen eben dieser leicht machten, an der Seriosität des Programms zu zweifeln. Lange war die Ausfinanzierung des Programms zwar bis 1996 zugesichert, aber nicht gesichert. Natürliche Ängste wurden geschürt, dass im Rahmen legitimer öffentlicher Sparorgien die aus dem Programm finanzierten Stellen auf die planmäßigen Stellen angerechnet werden könnten. Unter Nichtberücksichtigung der speziellen und im Prinzip diskreditierten Situation der im Wissenschaftlerintegrationsprogramm zusammengefassten Personen wurde stattdessen der westliche Mittelbau auf sein mögliches Neidpotential hin getestet und für geeignet befunden, die Privilegierung der ostdeutschen ehemaligen Akademiker zu geißeln. Ein letztes und oft unschlagbares Argument waren der fehlende Stuhl und Tisch, deshalb so schwer zu entkräften, weil es offensichtlich – und nicht nur in den Hochschulen – keine gesicherte Methode gibt, Raumnot und Raumverschwendung sinnvoll auszugleichen. Konnten diese Argumente insgesamt durch Appelle an das soziale Gewissen abgeschwächt werden, wurde die nächste Verteidigungslinie des Schrebergartens aufgebaut. Die Gefährdung unserer Einzigartigkeit durfte nicht zugelassen, der Ansatz nicht in Frage gestellt werden. Das eigene Profil könnte verwischt werden. Eine solche Verunsicherung westlicher Wissenschaftler durch für immerhin drei Jahre, in denen die Welt untergehen könnte, zeckig in den Pelz gesetzte östliche Wissenschaftler mit anderen als den eigenen Interessen- und Arbeitsgebieten, das hätte andererseits eine ebenso unzulässige, weil gefährliche Doppelung bedeutet und wäre für die Erstgenannten eine unerträgliche psychische Belastung geworden.
Am entsetzlichsten war, dass diese Argumente unter der Käseglocke der Freien Universität für hinreichend gehalten wurden, um sich den politischen, sozialen und wissenschaftlichen Verpflichtungen, die sich aus der Reichseinigung ergaben und die selbst von der kalten geschäftsmäßigen Tagespolitik anerkannt wurden, zu entziehen. Dass kollegiale Gegensätze und das Kalkül mit Mehrheiten in der gremialen Gruppenuniversität mit recht großer Sicherheit die eigentlichen Gründe dafür waren, dass Schwächere weggebissen bzw. gar nicht erst an die Fleischtöpfe, die niemendem etwas wegnahmen, gelassen wurden, wurde von den verschiedenen Entscheidungsebenen in der Universität diskret übersehen, bzw. orientierte sich niemand mehr an den Lichtgestalten der Geschichte, sondern jeder hatte den handlichen Opportunismus Pontii Pilati internalisiert.
In meinem Fachbereich gab es aus verschiedenen inneruniversitären und von der Akademie zu verantwortenden Gründen zunächst nur zwei Anträge auf Integration durch zwei ehemalige Wissenschaftler aus der Akademie. Der eine Antrag wurde Ende 1991, der andere im Januar 1993 gestellt, beide für die gleiche Fachrichtung. Beide Antragsteller fanden in mir offensichtlich einen inkompetenten Befürworter ihrer längst im Abwicklungsverfahren der Akademie für gut befundenen Forschungsprojekte. Diese bildeten den eigentlichen Arbeitsauftrag an die ehemaligen Akademiker, zur Lehre sollten sie nach Absprache herangezogen werden können. Dem Fachbereich dies zu vermitteln war mir nicht möglich, vielmehr wurde mit einer Kaskade bereits erwähnter Argumente die Gefährdung der Einzigartigkeit auch dieses Faches an der Freien Un iversität beschworen, falls nicht den Anfängen gewehrt werde. In Marc Anton’scher Manier wurden die Antragsteller zu ehrenwerten Männern und das Fach zu Kavafis‘ Alexandria. So perlten die Argumente innerhalb der Wir-Gruppe vom einen zum anderen, indem Behauptungen aufgestellt und zögernd wieder zurückgenommen wurden, um erneut vorgebracht zu werden und um so eine Nebelwand zu errichten, hinter der jedes menschliche Schicksal zur Bedeutungslosigkeit verkümmerte. Hier ging es nicht um die Verteilung des Mangels, sondern um eine großzügige kostenlose Geste eines universitären Gremiums. Und dennoch wurde in einem Mai daraus ein schweres, bedenkenvolles Zugeständnis, das nur für den Unbeteiligten ausgeprägt karnevalistische Züge trug: Wollen wir sie hereinlassen? Wir lassen einen herein!
Dass hier nicht der Spielfilm des Fernsehabends auf dem Programm stand, sondern eine der irreversiblen Meldungen der Tagesschau,war glaube ich – hoffe ich – dem größten Teil der anwesenden Entscheidungsträger nicht bewusst. Und um den dramaturgischen Effekt zu erhöhen, denn man hatte diese Art Inszenierungen seit den späten sechziger Jahren eingeübt und beherrschte sie, wurde der Befürworter beider Anträge zum Henker bestimmt – oder war ich als einziger Laiendarsteller das Volk, dem Pontius Pilatus die Wahl überließ? Selbst meine Weigerung vor der Bestellung zu diesem ehrenvollen Amt, dem Charles Duff bereits 1928 ein so monumentales Denkmal setzte, dieses auch zu übernehmen, hielt die Mehrheit des Fachbereichsrats nicht davon ab, mich dennoch hierfür für würdig zu halten.
Noch im selben Mai hatte ich mich an den Präsidenten der Freien Universität und die universitäre Rechtsabteilung gewandt, um zu erfragen, ob nur ich die Entscheidung des Fachbereichsrats nicht erfassen könne. So war es. Der August kam ins Land, drei Wochen nach der Vorlesungszeit, und ich bekam Bescheid von der Rechtsabteilung, die Ausrichtung eines Faches sei ein höheres Gut als im Kleinen dazu beizutragen, die Vereinigungswehen etwas weniger schmerzhaft zu gestalten. Im selben Monat August bekam ich ein Schreiben des Dekans an die Universitätsverwaltung keineswegs selbstverständlich, sondern auf verschlungenen Wegen zu Gesicht, in dem angesichts meiner Untätigkeit nun wiederum die Universitätsverwaltung gebeten wurde, einen der beiden Antragsteller hintenrüber zu kippen. Diese nun wollte völlig verständlich nicht die Drecksarbeit für andere verrichten und gab den Schwarzen Peter wahlweise an den Dekan oder mich zurück, mit dem Hinweis, dass, wenn von Seiten des Fachbereichs oder von mir keine Wahl getroffen werde, der GAU, nämlich keinen zu integrieren, unausweichlich und die bessere Lösung sei. Bis Mitte November schwiegen der Fachbereichsrat bzw. der Dekan, um eine eindeutige spätere Schuldzuweisung zu ermöglichen. Seit August hielt ich mit dem zuständigen Vizepräsidenten losen Kontakt, soweit es sein Urlaub, seine Geschäfte und Verpflichtungen dies zuließen. Seine Überlegungen gingen dahin, die Integration beider Antragsteller zu ermöglichen, aber er kam nicht auf den Gedanken, eine Revision des Fachbereichsratsbeschlusses anzustreben, was den demokratischen Strukturen der Freien Universität selbstverständlich entsprochen hätte, sondern er wollte die durch eine mögliche Integration in ihrem Fachverständnis gestörte Kraft dazu bewegen, aus einem menschlichen Gefühl heraus der Integration beider Antragsteller zuzustimmen. Damit bin ich etwa wieder beim Zwiebelfisch angelangt. Dem Vizepräsidenten gelang es nicht. Ich entschied mich für einen der beiden Antragsteller und betete, für den zweiten noch 1993 eine Integrationsmöglichkeit zu finden. Bei diesem Versuch traf ich auf viele integre und hilfsbereite Menschen und Wissenschaftler an der Freien Universität, an der Technischen Un iversität und an der Universität Leipzig. Die von der Freien Universität konnten mir nicht helfen, weil das Paket bis zur Universitätsspitze zu gut geschnürt war. Leipzig erwies sich als unnötig, und ein Mitglied der Technischen Universität half schnell und „unbürokratisch“. Ihm werde ich das nie vergessen.
Und doch musste ich dem einen Antragsteller sagen, dass ich mich für den anderen entschieden hätte. Er explodierte nicht, er wurde noch blasser, noch rat- und hilfloser, noch durchsichtiger als ich ihn bisher gekannt hatte. Als ob nicht 35 Jahre Zurücksetzung gepaart mit der eigenen Unfähigkeit zur notwendigen Anpassung genug gewesen wären.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen