Dienstag, 11. September 2012

Lesender Weise 19



Vorbereitungen zu einer Evaluierung

Als Evaluatoren kamen nur die Angehörigen des inzwischen universitären Hoch­schulentwicklungscentrums in Betracht, nicht mehr die Handvoll rheinpreußischer Beamter im Verein mit erfahrenen Professoren, die nur auf die Bewahrung ihrer Pfründen achteten, nein, nur die universitär unabhängigen, gesellschaftlich bewuß­ten Erziehungswissenschaftler, Soziologen, Politologen und Ökonomen, die nur Bertelsmann und sonst niemandem verpflichtet waren.
Es wurden Fragebögen entwickelt über Professoren, Studenten, Abschlüsse, Dritt­mittel, Projekte, Publikationen und keineswegs zuletzt die Gründungskompetenz der Hochschulen, offengelassen in einem schwammigen Verständnis von Soll und Haben. Es wurden die entsprechenden Evaluatoren gewählt, Kollegen, die aus der Universität in Beraterbüros, Akkreditierungsagenturen, Evaluationsinstitute ge­wechselt waren. Wir werden diskret genug sein, niemanden zu engagieren, der ge­genwärtig Mitglied des Zentrums für Hochschulentwicklung ist. Dass enge Kon­takte bestehen, das läßt sich nicht vermeiden, da die Elite einander kennt und schätzt und schließlich auch bei jedem neuen Mal einander benennen muß in Er­mangelung anderer kompetenter Fachleute, die eben nicht im Netzwerk einer der Ivy-League-Universitäten dieser Welt oder an der Johannes-Universität selbst stu­diert haben. Es gelingt damit über die Johannes-Universität hinaus der Stadt Gü­tersloh, Bremerhaven den Rang als Stadt der Wissenschaft abzulaufen. Dies ge­schieht mit Hilfe mitmachgeneigter Kreise, die es verstehen, den Lobbybegriff zu neutralisieren, Öffentlichkeit als höchstes Gut zu verkaufen. Es geschieht durch ein ganzes Bündel von Institutionen, die wir diskret zur Qualitätssicherung der Bil­dung ins Leben gerufen und mit den besten Erziehungswissenschaftlern Deutsch­lands besetzt und bestückt haben.
Der befragte Kreis war immer ein anderer, die Datengrundlage oft selbstbestimmt. Z.B. wurde die Gründungskompetenz belegt durch Recherchen in den Vorlesungs­verzeichnissen, auf den websites der Universitäten, durch Blindanfragen an die Studienberatungen, Erhebungen bei den Presse- und Transferstellen der Univer­sitäten und die Befragung ausgewiesener Entrepreneur-Experten. Der Sinn der Sta­tistik war Karl klar, Virtualität in Realität zu verwandeln, aus weichen Daten dezi­dierte Fakten zu machen, um mit dem Brustton eigener Überzeugung Ergebnisse, Trends und Horror- oder Glücksszenarien zu entwerfen. Es sollte die nächste Krise herbeigezaubert werden durch die Gewalt des Wortes und stetes Selbstlob, das so­genannte Renommé sollte optimistischen Perspektiven Gewicht verleihen. Und so ginge gestern bereits die Welt unter, wäre übermorgen sie wieder in Ordnung. Karl kannte solche Papiere und ihre Entstehung, nicht die Wirklichkeit wurde vermes­sen, sondern der Spuk in den Köpfen der Intellektuellen. Welche Forschungen be­treiben Sie? Die Preußische Seehandlungsgesellschaft hat mir 25.000 für ein Sym­posium zum Frauenbild, zur Lehrerausbildung, zum japanischen Management als Vorbild oder Abschreckung, zur Erforschung des Deutschlandbildes in Japan mit den drei „Hs“, Hesse, Heidegger und Habermas und einem „K“, Oliver Kahn, zu literarischen Texten im Internet, zur wissenschaftlichen Kontaktaufnahme im glo­balen Maßstab (drei Flüge samt Unterbringung für händewaschende Freunde aus den renommierten Universitäten auf Fiji, aus Bergen und von der Arizona State University with English as the conference language), die Deutsche Forschungs­gemeinschaft hat mir außenbegutachtet 20.000 für eine Projektvorbereitung be­willigt, um endlich des Pudels Kern herauszuschälen. Als ich noch in B. war hatte ich drei aus Drittmitteln finanzierte Mitarbeiter (es war einer, aber irgendwie bin ich beim Zählen durcheinander gekommen – who cares?). Und so wird selbst das Herrschaftswissen zu einer unsicheren, manipulierbaren Größe. Im Indisch-paki­stanischen Krieg wurden mehr Panzer vernichtet als auf der Welt registriert waren. Und wenn meine Phantasien einmal wirklich werden, dann wird die Menschheit nach Gütersloh sehen. Sie sind schon auf dem Weg, also schaut die Menschheit bereits. Dass die Sachbearbeiterin in der Dittmittelstelle weiß, dass alles einen sehr viel bescheideneren Zuschnitt hat, das ist bedauerlich, aber sie ist schließlich zu Vertraulichkeit verpflichtet. Sie wird es zynisch ihrem Mann oder Freund berich­ten. Welches Ohr könnten sie finden, und es wird überdies nicht alle erreichen, die von mir erfahren haben, wie groß ich bin, mein Fach durch Interkulturalität, Krebsmittel oder unwiderlegbare Erkenntnisse über die jurassische Katastrophe revolutioniere. Keine Suchmaschine ist zuverlässig genug, um alle meine Erfolge zu verzeichnen. Wenn man mir folgt, wird Aids nur mehr eine zwar dunkle Er­innerung bleiben, wie die Pestepidemien des Mittelalters. Mein neuer Impfstoff ist so gut wie ein Allzweckwerkzeug (wie oft habe ich geflucht, wenn keine der vor­gesehenen Funktionen wirklich Sinn machte, der Schraubenzieher zu breit, der Hammerkopf, die Axt zu klein, die Zange zu sperrig, der Meißel nicht anzusetzen war, weil die Axt dann in die Handfläche schnitt, nicht einmal beim Flaschen­öffnen kam man unverletzt davon). Meine Publikationen sind keine bloße Kolle­genlektüre mehr. Ich habe keine Kollegen mehr, wir sind nur noch Kollegen, wir Dozenten, Konsultanten, Evaluanten, Politiker und Bewunderer. Nicht mehr nur Kenner kennen mich. Ich bin berühmt weil ich einen Studiengang für das Be­rufsbild der Fachhochschulprofessorin geschaffen habe. Und ich weiß, was bleibt, der Eindruck meiner Pfiffigkeit. Dass ich zwei Leute diplomiert, drei magistriert habe, dass ich einen Menschen promoviert habe, das wissen die Sachbearbeiterin­nen im Prüfungsbureau, dass ich aber fünfzig Menschen angeregt habe, mit A., B. und C. die Möglichkeiten einer Habilitation besprochen habe, das weiß niemand außer mir, also hinein damit in den Fragebogen. Weist mich jemand darauf hin, dass ich neue Kleider für den Kaiser nähe, so ist alles ein kurzes Mißverständnis, der Fragebogen fragte nach „–anden“, und so habe ich einmal mehr nichts als die Wahrheit von mir gegeben. Meine Lehrveranstaltungen betreibe ich mit großem Engagement, besonders deutlich dadurch, dass die dritte, siebente, achte und dreizehnte Veranstaltung dadurch besonders bedeutsam wurden, dass die renom­mierten Professorinnen und Professoren Miller, Takeda, Ghose und Laurent (sollte ich wissen, dass sie in ihren Heimatuniversitäten noch an ihrer Doktorarbeit si­tzen?) von ihren Forschungen, die sich passgenau in meine Veranstaltung ein­fügen, berichteten, aus dem dritten Kapitel ihres für die Seminarbibliothek bereits angeschafften neuesten Buches vorlesen beziehungsweise so phantastisch sind, dass sie auch zu meinen Forschungs- und Lehrgegenständen aus dem Stegreif et­was sagen können. So schnuppern die Studenten den Duft der großen weiten Welt und werden frühzeitig auf den globalen Aspekt meiner Aktivitäten eingestellt, ohne dass ich einen Schauspieler als Professor engagieren muß. Studentenzahlen? Papier ist geduldig. Und fühlt sich jemand von mir überfordert, verweise ich ihn auf die Internetseite www.studienabbrecher.com. (Karl erinnert sich an seine eige­ne Studienzeit, als noch Hörergeld gezahlt und genommen wurde. Damals war das Studienbuch mit seinen Testaten maßgeblich.). Publikationen? Ich habe einen Namen und Leute, die sich noch nicht emanzipiert haben. Es siegte der Dialog über das Gerede, die Öffentlichkeit über die Reklame und die Vernetzung über den Lobbyismus.
Womit man leider wenig anfangen konnte, war das Gutachten des Kollegen Schneewind von der Universität Hamburg nach der ersten Evaluation. Das einzige folgerichtige Ergebnis war, den Kollegen Schneewind nie wieder einzusetzen, der zunächst den nicht gewünschten Professor mit der Ameise, die nur Stoff und noch­mals Stoff anhäuft oder der Spinne, die die Fäden aus sich selbst heraus spinnt, verglich, um dann zu schreiben, der Professor solle sein wie die Biene, von Blüte zu Blüte wandernd, den Stoff einsaugend, um ihn in seinem Inneren zu Honig zu verarbeiten. Er solle eben nicht Handlanger, sondern Maurer sein. Dann aber kipp­te sein Raisonnement um, als er forderte, eine Eliteuniversität könne auch nicht der Handlanger auf professoraler Ebene entbehren, die den Maurern unter ihnen den Bau überhaupt erst ermögliche. Erst müsse ein Bildungsstandard geschaffen wer­den, um dem Evaluator das Handwerkszeug zur Leistungsmessung in die Hand zu geben. Vorsichtige Fragen bei bekannten Hamburger Kollegen ergaben, dass man mit ihm hätte vorsichtig sein sollen. Und es wurden diskret im Freundeskreise, im Kreise vertrauter und vertrauenswürdiger Kollegen die gutachterlichen Äußerun­gen des Kollegen Schneewind gestreut, und die Memoranda, die diese Scharte aus­bügelten, füllten nicht nur Aktenordner, sondern wurden ebenso in der Presse lan­ciert, so dass schließlich kein Zweifel mehr an der Güte der Johannes-Universität herrschen konnte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen