Vorbereitungen zu einer Evaluierung
Als Evaluatoren kamen nur die Angehörigen des inzwischen
universitären Hochschulentwicklungscentrums in Betracht, nicht mehr die
Handvoll rheinpreußischer Beamter im Verein mit erfahrenen Professoren, die nur
auf die Bewahrung ihrer Pfründen achteten, nein, nur die universitär
unabhängigen, gesellschaftlich bewußten Erziehungswissenschaftler, Soziologen,
Politologen und Ökonomen, die nur Bertelsmann und sonst niemandem verpflichtet
waren.
Es wurden Fragebögen
entwickelt über Professoren, Studenten, Abschlüsse, Drittmittel, Projekte,
Publikationen und keineswegs zuletzt die Gründungskompetenz der Hochschulen,
offengelassen in einem schwammigen Verständnis von Soll und Haben. Es wurden
die entsprechenden Evaluatoren gewählt, Kollegen, die aus der Universität in
Beraterbüros, Akkreditierungsagenturen, Evaluationsinstitute gewechselt waren.
Wir werden diskret genug sein, niemanden zu engagieren, der gegenwärtig
Mitglied des Zentrums für Hochschulentwicklung ist. Dass enge Kontakte
bestehen, das läßt sich nicht vermeiden, da die Elite einander kennt und
schätzt und schließlich auch bei jedem neuen Mal einander benennen muß in Ermangelung
anderer kompetenter Fachleute, die eben nicht im Netzwerk einer der
Ivy-League-Universitäten dieser Welt oder an der Johannes-Universität selbst
studiert haben. Es gelingt damit über die Johannes-Universität hinaus der
Stadt Gütersloh, Bremerhaven den Rang als Stadt der Wissenschaft abzulaufen.
Dies geschieht mit Hilfe mitmachgeneigter Kreise, die es verstehen, den
Lobbybegriff zu neutralisieren, Öffentlichkeit als höchstes Gut zu verkaufen.
Es geschieht durch ein ganzes Bündel von Institutionen, die wir diskret zur
Qualitätssicherung der Bildung ins Leben gerufen und mit den besten
Erziehungswissenschaftlern Deutschlands besetzt und bestückt haben.
Der befragte Kreis war
immer ein anderer, die Datengrundlage oft selbstbestimmt. Z.B. wurde die
Gründungskompetenz belegt durch Recherchen in den Vorlesungsverzeichnissen,
auf den websites der Universitäten, durch Blindanfragen an die
Studienberatungen, Erhebungen bei den Presse- und Transferstellen der Universitäten
und die Befragung ausgewiesener Entrepreneur-Experten. Der Sinn der Statistik
war Karl klar, Virtualität in Realität zu verwandeln, aus weichen Daten dezidierte
Fakten zu machen, um mit dem Brustton eigener Überzeugung Ergebnisse, Trends
und Horror- oder Glücksszenarien zu entwerfen. Es sollte die nächste Krise
herbeigezaubert werden durch die Gewalt des Wortes und stetes Selbstlob, das sogenannte
Renommé sollte optimistischen Perspektiven Gewicht verleihen. Und so ginge
gestern bereits die Welt unter, wäre übermorgen sie wieder in Ordnung. Karl
kannte solche Papiere und ihre Entstehung, nicht die Wirklichkeit wurde vermessen,
sondern der Spuk in den Köpfen der Intellektuellen. Welche Forschungen betreiben
Sie? Die Preußische Seehandlungsgesellschaft hat mir 25.000 für ein Symposium
zum Frauenbild, zur Lehrerausbildung, zum japanischen Management als Vorbild
oder Abschreckung, zur Erforschung des Deutschlandbildes in Japan mit den drei
„Hs“, Hesse, Heidegger und Habermas und einem „K“, Oliver Kahn, zu
literarischen Texten im Internet, zur wissenschaftlichen Kontaktaufnahme im globalen
Maßstab (drei Flüge samt Unterbringung für händewaschende Freunde aus den
renommierten Universitäten auf Fiji, aus Bergen und von der Arizona State
University with English as the conference language), die Deutsche Forschungsgemeinschaft
hat mir außenbegutachtet 20.000 für eine Projektvorbereitung bewilligt, um
endlich des Pudels Kern herauszuschälen. Als ich noch in B. war hatte ich drei
aus Drittmitteln finanzierte Mitarbeiter (es war einer, aber irgendwie bin ich
beim Zählen durcheinander gekommen – who cares?). Und so wird selbst das
Herrschaftswissen zu einer unsicheren, manipulierbaren Größe. Im Indisch-pakistanischen
Krieg wurden mehr Panzer vernichtet als auf der Welt registriert waren. Und
wenn meine Phantasien einmal wirklich werden, dann wird die Menschheit nach
Gütersloh sehen. Sie sind schon auf dem Weg, also schaut die Menschheit
bereits. Dass die Sachbearbeiterin in der Dittmittelstelle weiß, dass alles einen
sehr viel bescheideneren Zuschnitt hat, das ist bedauerlich, aber sie ist
schließlich zu Vertraulichkeit verpflichtet. Sie wird es zynisch ihrem Mann
oder Freund berichten. Welches Ohr könnten sie finden, und es wird überdies
nicht alle erreichen, die von mir erfahren haben, wie groß ich bin, mein Fach
durch Interkulturalität, Krebsmittel oder unwiderlegbare Erkenntnisse über die
jurassische Katastrophe revolutioniere. Keine Suchmaschine ist zuverlässig
genug, um alle meine Erfolge zu verzeichnen. Wenn man mir folgt, wird Aids nur
mehr eine zwar dunkle Erinnerung bleiben, wie die Pestepidemien des
Mittelalters. Mein neuer Impfstoff ist so gut wie ein Allzweckwerkzeug (wie oft
habe ich geflucht, wenn keine der vorgesehenen Funktionen wirklich Sinn machte,
der Schraubenzieher zu breit, der Hammerkopf, die Axt zu klein, die Zange zu
sperrig, der Meißel nicht anzusetzen war, weil die Axt dann in die Handfläche
schnitt, nicht einmal beim Flaschenöffnen kam man unverletzt davon). Meine
Publikationen sind keine bloße Kollegenlektüre mehr. Ich habe keine Kollegen
mehr, wir sind nur noch Kollegen, wir Dozenten, Konsultanten, Evaluanten,
Politiker und Bewunderer. Nicht mehr nur Kenner kennen mich. Ich bin berühmt
weil ich einen Studiengang für das Berufsbild der Fachhochschulprofessorin
geschaffen habe. Und ich weiß, was bleibt, der Eindruck meiner Pfiffigkeit. Dass
ich zwei Leute diplomiert, drei magistriert habe, dass ich einen Menschen
promoviert habe, das wissen die Sachbearbeiterinnen im Prüfungsbureau, dass
ich aber fünfzig Menschen angeregt habe, mit A., B. und C. die Möglichkeiten
einer Habilitation besprochen habe, das weiß niemand außer mir, also hinein
damit in den Fragebogen. Weist mich jemand darauf hin, dass ich neue Kleider für
den Kaiser nähe, so ist alles ein kurzes Mißverständnis, der Fragebogen fragte
nach „–anden“, und so habe ich einmal mehr nichts als die Wahrheit von mir
gegeben. Meine Lehrveranstaltungen betreibe ich mit großem Engagement,
besonders deutlich dadurch, dass die dritte, siebente, achte und dreizehnte
Veranstaltung dadurch besonders bedeutsam wurden, dass die renommierten
Professorinnen und Professoren Miller, Takeda, Ghose und Laurent (sollte ich
wissen, dass sie in ihren Heimatuniversitäten noch an ihrer Doktorarbeit sitzen?)
von ihren Forschungen, die sich passgenau in meine Veranstaltung einfügen,
berichteten, aus dem dritten Kapitel ihres für die Seminarbibliothek bereits
angeschafften neuesten Buches vorlesen beziehungsweise so phantastisch sind, dass
sie auch zu meinen Forschungs- und Lehrgegenständen aus dem Stegreif etwas
sagen können. So schnuppern die Studenten den Duft der großen weiten Welt und
werden frühzeitig auf den globalen Aspekt meiner Aktivitäten eingestellt, ohne dass
ich einen Schauspieler als Professor engagieren muß. Studentenzahlen? Papier
ist geduldig. Und fühlt sich jemand von mir überfordert, verweise ich ihn auf
die Internetseite www.studienabbrecher.com. (Karl erinnert sich an seine eigene
Studienzeit, als noch Hörergeld gezahlt und genommen wurde. Damals war das
Studienbuch mit seinen Testaten maßgeblich.). Publikationen? Ich habe einen
Namen und Leute, die sich noch nicht emanzipiert haben. Es siegte der Dialog
über das Gerede, die Öffentlichkeit über die Reklame und die Vernetzung über
den Lobbyismus.
Womit man leider wenig anfangen
konnte, war das Gutachten des Kollegen Schneewind von der Universität Hamburg
nach der ersten Evaluation. Das einzige folgerichtige Ergebnis war, den
Kollegen Schneewind nie wieder einzusetzen, der zunächst den nicht gewünschten
Professor mit der Ameise, die nur Stoff und nochmals Stoff anhäuft oder der
Spinne, die die Fäden aus sich selbst heraus spinnt, verglich, um dann zu
schreiben, der Professor solle sein wie die Biene, von Blüte zu Blüte wandernd,
den Stoff einsaugend, um ihn in seinem Inneren zu Honig zu verarbeiten. Er
solle eben nicht Handlanger, sondern Maurer sein. Dann aber kippte sein
Raisonnement um, als er forderte, eine Eliteuniversität könne auch nicht der
Handlanger auf professoraler Ebene entbehren, die den Maurern unter ihnen den
Bau überhaupt erst ermögliche. Erst müsse ein Bildungsstandard geschaffen werden,
um dem Evaluator das Handwerkszeug zur Leistungsmessung in die Hand zu geben.
Vorsichtige Fragen bei bekannten Hamburger Kollegen ergaben, dass man mit ihm
hätte vorsichtig sein sollen. Und es wurden diskret im Freundeskreise, im
Kreise vertrauter und vertrauenswürdiger Kollegen die gutachterlichen Äußerungen
des Kollegen Schneewind gestreut, und die Memoranda, die diese Scharte ausbügelten,
füllten nicht nur Aktenordner, sondern wurden ebenso in der Presse lanciert,
so dass schließlich kein Zweifel mehr an der Güte der Johannes-Universität
herrschen konnte.
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