Dienstag, 11. September 2012

Lesender Weise 20



Die Universität

Allmählich entwickelte sich die Johannes-Universität zu dem, was von vielen, die sie repräsentierten, beabsichtigt war. Sie wurde zu einer Residenz mit großer Herr­scherfrequenz, besaß die entsprechenden Rats- und Verwaltungsinstitutionen und die gefrorene Infrastruktur. Die Rituale waren mit Hilfe Jürgen Lürssens schließ­lich kodifiziert. Das Siegel war entworfen und für geeignet befunden worden, die unvergleichlichen Bauten standen, eine wissenschaftliche Genealogie war erfolg­reich entworfen worden, so dass das Renommé der Berliner Humboldt-Universität, altehrwürdig und nicht ohne mindestens die Hälfte ihrer Geschichte Instrument eher suspekter Machthaber gewesen zu sein, von Gütersloh okkupiert und mit den territorialen auf Johannes Gigas zurückgehenden Wurzeln verankert wurde. Sie war keine university of applied sciences, sondern fürwahr Elite. Selbst die not­wendige Erinnerungskultur war geschaffen, indem die Gräber der Äbte von Ma­rienfeld, an hervorragender Stelle das Grab des Bischofs von Agathonica in Thrazien, für Kranzniederlegungen und jährliche Reden, die immer mehr den Cha­rakter chinesischer kaiserlicher Ermahnungen annahmen, genutzt wurden. Wegen seiner ästhetischen Schönheit stand fast gleichberechtigt das Grab des Bischofs Yso Wilpe neben den lokalen Größen. Gefüllt war dieser Rahmen mit dem ent­sprechenden Personal vom Kanzler über Herolde, Künstler, Professoren und Hofnarren bis zu Frauen, Eunuchen und Maitressen. Und man gab viele Worte von sich, die, wären sie nicht nur Worte gewesen, von der Vernunft der Redner zeug­ten. Man sprach davon, dass die Rehabilitation der verantwortungsbewußten Lehrer längst überfällig sei. Man ging an gegen die Scheu, Grundlagenforschung und Nutzen miteinander zu verbinden und versuchte, hybride Studiengänge wie Philosophie und Wirtschaft zu lancieren. Dagegen standen die von den Funktio­nären entwickelten Leistungskriterien, nichts höher zu bewerten als Aktivitäten in der politisierten Selbstverwaltung, auf nichts mehr zu beharren als auf die zu anderen Zeiten festgelegten Fächergrenzen, den eigenen Kanon festzuschreiben, den Begriff der Hilfswissenschaft pejorativ zu verstehen.
Nicht zuletzt dachte man aber an die zu materialisierenden Rituale. Dazu gehörten die Küche und der Weinkeller. Im letzteren fanden sich nicht nur Weine von der Unstrut, aus Württemberg und von der badischen Sonne verwöhnte, der Domina-Rotwein aus Franken und der Rotwein von der Aar, so geeignet für Rotweindessert, es fanden sich auch Weine aus Orleans und Bordeaux, der Brunello aus Montepulciano und natürlich lange Regale mit Barolo und den erkauften Tributen der Fugger, sondern auch Champagner aus Aï, Dessertweine aus der Malvoisie, darüber hinaus die verschiedensten Würz­weine mit Minze, Aloe, mit Muskatnuß, Nelken oder Rosinen und daneben Gold­wasser, das in Ermangelung alchemistischen Könnens aus dem Brunnen stammte und dem Goldplättchen beigegeben wurden. In den Speisekammern gab es entwe­der alle Zutaten, die man für Suppe, Hauptgericht und Dessert benötigte, oder man konnte auf die Adressenlisten zurückgreifen, die an der Tür hingen, wenn man Weißwürste aus Kapaunenfleisch herstellen wollte, wenn geplant war, Spanferkel zu servieren oder seltenere Vogelarten wie Haselhühner, Spatzen, Amseln, Regen­pfeifer, Rebhühner, griechische Steinhühner oder Störche zu braten. Wild war immer vorhanden. Erst wenn man auch Igel wollte, hetzte man die entsprechenden Auftragnehmer in die Hecken und Waldraine.
Schließlich häuften sich die Anlässe, bei denen sich die Anwesenden erheben mußten. Und so wurden an den Klappstühlen Misericordias angebracht, die man während touristischer bezahlter Rundgänge bewundern durfte, da sie aus älteren Kirchen vor dem Verfall gerettet worden waren, so ein gesattelter Aristoteles we­gen seiner blinden Liebe für Kampaspe oder ein nach der Natur geschnitzter Ele­fant.

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