Freitag, 28. September 2012

Die tägliche Müdigkeit




Wenn ich Nachts nicht schlafen kann, paare ich mich nicht mit den Kreisler’schen Tanten zum Tanz, sondern drehe mich auf die unbequemere linke Seite, um die Zeitanzeige auf meinem Radiowecker  zu registrieren.
Ich glaube, inzwischen habe ich zu verschiedenen Zeiten alle Zeiten zwischen 22 Uhr und sechs Uhr dreißig abgehakt und beobachtet welche möglichen Bilder durch die Zahlen entstehen. Am besten gefallen mir Kombinationen mit der fünf und zwei. Zweiundfünfzig erinnert mich immer wieder an die Urne mit der Asche vom Onkel Fritz, wenn ich weniger makaber gelaunt bin, auch bloß an eine Vase, die Fünfundzwanzig an ein Tintenfass. Die Sechsundzwanzig ist ein Henkelkrug (Natürlich ist es die Neunundzwanzig, aber das ist eben die Müdigkeit). Doch steht die fünf für die Stunde und die zwei für die Zwanzigerminuten, dann ist der Doppelpunkt zwischen den beiden Zahlen die fast platzende Knopfreihe auf einem Wams, in dem ein Bauchmensch steckt, umgekehrt ist es genauso, die Knöpfe bleiben, nur der Schwerpunkt ist tiefer gelegt („Das Herz in der Hose“). Die Siebenundfünfzig ist ein auseinanderstrebendes, die Siebenundzwanzig ein auf einander sich zubewegendes Tanzpaar. Drei oder vier Zweien bzw. Fünfen sehen aus wie minoische Tänzerinnen, die einmal nach links und dann nach rechts vorbeitänzeln, einzeln repräsentieren sie eher ostasiatische Tänzerinnen mit überlangen schwingenden Ärmeln. Die anderen Zahlen und Zahlenkombinationen haben mich bisher nicht inspiriert, u.a. auch, weil die Zahlenzusammensetzungen durch einen Sechzigerzyklus begrenzt sind, wobei zu allem Überfluss auch noch die Sechzig auf Null(null) reduziert wird. Allerdings gibt es längere Wartezeiten zwischen den mir gefälligen Zahlenkombinationen. Dann nehme ich die Quersumme der Ziffern und die der für ihre Darstellung notwendigen Teilstriche und teile die erste durch die zweite Quersumme und erhalte einen sympathisch sinnlosen Wert, mit dem ich in irgendeiner Weise meine Schlafqualität und seine Dauer zu mathematisieren hoffe. In der Regel, wenn nötig – und oft so – schaffe ich es bis zur dritten Stelle nach dem Komma, für mehr fehlen mir dann Papier und Bleistift. Schnell geht es mitKombinationen aus den Zahlen vier, fünf und sechs, die auch die entsprechende Anzahl von Strichen zu ihrer Darstellung benötigen. Mit zwei und neun (fünf bzw. sechs Striche) und eins und acht (zwei und sieben Striche), lässt sich minimal unübersichtlicher auch der Quotient „eins“ errechnen, und immer wieder bin ich fürbass erstaunt, dass so unglaublich krumme Zahlen aus fast nichts herauskommen können.
Seit einigen Tagen sehe ich nicht mehr nur ein Vergnügen in diesem Zahlenspiel, sondern die Zeitung hat mir mit einem ganzseitigen Artikel die Rechtfertigung für mein Tun geliefert. Ich verzögere mit einer solchen Übung offensichtlich meine drohende digitale Demenz. Ich glaube es war der gleiche Artikel, der mich darüber informierte, dass zweisprachig aufgewachsene Kinder, die die Zweisprachigkeit auch später in ihrem Leben praktizieren, Alzheimer 5.1. Jahre später bekommen als solche, die nicht. Der Grund soll die größere Masse des/eines Gehirns sein.
Auf der letzten Seite des Times Literary Supplement vom 21. September dieses Jahres berichtet der Monogrammist J.C., dass Hemingway siebenundvierzig alternative Schlusssätze für „A Farewell to Arms“ ausprobiert habe. Eine solche Mühe mache ich mir nicht, bin wohl auch nicht dazu in der Lage, weil das viele Wachen die vierundzwanzig Stunden des Tages vernebelt.

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