Montag, 17. September 2012

Ein Motiv für "Lesender Weise"



Die Globalisierung als geeignetes Mittel zur Verdünnung der wissenschaftlichen Atmosphäre

Zuerst wurde ich gefragt, ob ich – aus Termingründen war der eigentliche Ansprechpartner verhindert – einen auf der Durchreise befindlichen prominenten Wissenschaftler betreuerisch übernehmen und für einen Vortrag gewinnen könne. Der prominente Wissenschaftler sei auch bereit, einen von mehreren Vorträgen zu halten und sicherlich zufrieden mit dem bescheidenen Obulus, den die Freie Universität dem Wissenschaftstouristen zu zahlen in der Lage ist.
Von Prominenz und Bedeutung auf einem Gebiet, von dem ich lediglich weiß, daß es existiert, geblendet war ich bereit, alles Notwendige in die Wege zu leiten, um so mehr, als am folgenden Tag mir ein auswärtiger Kollege am Telephon verschwörerisch lachend versicherte, er sei „Besser als...“ Da ich vor mehr als dreißig Jahren bedingt durch die Enge unseres kleinen Seminars wie andere Jünger Georges mich um „Schlechter als...“ geschart hatte, waren alle gar nicht vorhandenen Bedenken verflogen. Ich sah „Besser als...“ mit Zuversicht entgegen, stellte einen Antrag auf Gasteinladung, und weil Prominenz immer eilend unterwegs ist, streckte ich die 200 DM vor und veranstaltete einen mittelgroßen Bahnhof in meinem Büro mit Tee und Kaffee aus dem Automaten.
Gewählt hatte ich aus der Skala möglicher Themen, das, welches am ehesten der globalen Vernetzung, nicht meines Faches, sondern seiner Inhalte entgegenkam und die Avantgarde des Faches nach menschlichem Ermessen hätte begeistern müssen. Glücklicherweise verhielt sich die Avantgarde politisch korrekt und erschien nicht zu einem von mir als Substitut organisierten Beitrag aus der internationalen Wissenschaft, denn der prominente Beitrag entpuppte sich zu Erfahrungen aus einem kommunikationsfreudigen, optimistischen und von Wissenschaftsreisen erfüllten fünfzigjährigen Leben, in dem auch Zimbabwe nicht vom Pfad der amerikanischen Demokratie abwich. Eigenes Erleben wurde mit zehn heute gängigen Attributen belegt: Culturalization, Decolonization, Democratization, Emancipation, Globalization, Intellectualization, Modernization, Socialization, Vitalization and Zombiization.
Es blieb mir überlassen, am Ende des räumlich gut genutzten Vortrags für die Insiderinformationen eines Außenseiters zu danken.
Nach „Besser als...“ wollte ich sehen, ob „Kommender Stern“ zwei Tage später „Besser als...“ das Wasser reichen könnte. Dieses Mal wurde das Ereignis von „Political correctness“ initiiert, und ich tauchte in der Menge ab, um zu beobachten, ob Dompteur oder Tanzbär am Nasenring geführt wurden. Ich hatte die Wahl zwischen zwei Veranstaltungen, doch kannte ich den Vertreter des Ossian bereits, konnte nicht wie der Uhland’sche Türke zweigeteilt werden, und meine Gier nach Erkenntnis war grenzenlos.
Es war, wie es sich gehört, ein erhellender Ausblick, „Kommender Stern“ beim witzig pragmatischen Referat über das zweite Kapitel seines neuesten Buches zu folgen als sei es eine Lesestunde aus Harry Potter, wir lachten und erfreuten uns an der no-nonsense Intellektualität des mittleren Westens der Vereinigten Staaten, die uns in anderem zimbabwischen Menschenrechtskontext plötzlich die Appeasement-Politik Chamberlains verbrämt mit Zustimmung einfordernden kritischen Seitenhieben gegen die amerikanische Politik im fernen Serbien rational und plausibel erscheinen ließ, uns in der unerschütterlichen Überzeugung bestärkte, durch Kontakte und unseren Mantel der Legitimierung die Demokratisierung Zimbabwes auf den richtigen Weg bringen zu können, wenn wir nur den Revolutionären die Furcht vor uns nehmen könnten, ihnen verständlich machen könnten, was wir längst wußten, daß die Revolution vorbei sei. Die Homiletik von „Kommender Stern“ litt nur darunter, daß er nicht aus dem gedruckten Werk las, weil so nicht das erotische Gefühl hervorgelockt wurde, das Bücher amerikanischer Universitätsverlage so trefflich zu erzeugen verstehen, wenn sie Seriösität in einem coffee-table-book verkleiden. Dies hatten andere Vortragende über das senegalesische Theater und Mongolen in West-Afrika „Kommender Stern“ voraus, denen ich früher mit zitterndem Herzen gelauscht hatte.
Voller Vorfreude wanderte ich also wieder einen Tag später zum Vortrag von „Alte Hand“, die als reformiertes Mitglied der kolonialen Gemeinde von Salisbury die Schönheit des Kolonialstils von Harare anhand der von ihr produzierten Photobände mit der Kategorie ‚was mir gefällt‘ pries.
Während wir bei den beiden ersten Vorträgen zusätzlich unser Hörverständnis in amerikanischem Englisch üben konnten, bekamen wir diemal ein Beispiel davon auf Deutsch, wie sich unsere englischen Vorträge bei Eingeborenen anhören können, vague in den Begrifflichkeiten, kokett und kolloquial. Vor allen Dingen aber wurde uns ein Ausschnitt der Leistungsfähigkeit der globalen Wissenschaftsorganisation geboten.

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