Donnerstag, 13. September 2012

Stimmungen



Vor zwei Nächten träumte ich, dass ich einen begeisternden Vortrag über den Buddhismus hielt. Es gab eine noch nie erlebte lebhafte Diskussion, und ich wachte ungemein zufrieden auf. Das fand ich übrigens passabel lustig, da ich keine Ahnung vom Buddhismus habe. Als ich um einige Jahrzehnte jünger war, sollte ein etwa gleichaltriger und im Gegensatz zu mir politisch aufgewühlter Bekannter, fast Freund, im kleinen Kreis über eben dieses Thema sprechen. Nach etwa fünf Minuten Schweigen dachten wir alle und ausnahmslos, er habe den Faden nicht gefunden. Dann kam der erste Satz: „Das war die Einleitung.“ Angesichts des Schweigens gewiss ohne Ausrufezeichen zu denken.
Ich komme auf „lustig“, weil ich damit zur Zeit im Wachzustand meine Schwierigkeiten habe. Durch die Tür, durch die die Gedanken hereinzukommen pflegen, kommen formlose nicht identifizierbare Gebilde, nichts Lustiges, nichts Witziges, nichts Amüsantes oder Süffisantes. Allenfalls an einer Ecke kann man mit einem Vergrößerungsglas etwas Zynisches und etwas Launisches, nichts Launiges erkennen. Vielleicht ist es das schwindende Kurzzeitgedächtnis oder eine falsche Therapie, wenn ich mit Wohlwollen einen Text zur chinesischen Autoindustrie lese und ihn ähnlich lose gestrickt empfinde wie „Cranford“ nach erneuter Lektüre nach etwa fünfzig Jahren und zum Schluss beiseite lege mit der Überzeugung, trotzdem etwas erfahren zu haben. Und doch erscheint es unfertig, etwas, was sich vielleicht aus meiner weiteren Nebenbeilektüre ergibt, so wie ich versuchte, die „blauen Blusen“ unterzubringen, die vor dem 22. Oktober 1927 auch in Lübeck gastierten. Natürlich wurde ich bruchstückhaft über Google fündig, vergeblich las ich – immer noch nicht ganz zu Ende, weil überaus spröde und Namen herabtropfen lassend, von Juri Jelagin „Zähmung der Künste“ aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans Dieter Müller. Stuttgart: Steingrüben 1954. Auf Seite 228 und etwas häufiger hatte ich dann aber doch ein Erlebnis, das mich in andere und ältere Schichten meiner Erinnerung zurückführte, als ich las:
„Dieser ehrenhafte, selbstlose Mann und hervorragende Musiker [Igumnow] wurde [1929 als Direktor des Moskauer Konservatoriums] durch einen Kandidaten der Vereinigung [Proletarischer Musiker] ersetzt, der Pschibujschewskij hieß. Pschibujschewskij war von Geburt Pole, ein Verwandter des mehr berüchtigten als berühmten dekadenten Schriftstellers gleichen Namens, kein Musiker, dafür aber Parteimitglied, was diesen kleinen Schönheitsfehler wieder ausglich.“
Der mehr berüchtigte als berühmte dekadente Schriftsteller ist doch der oft namentlich und u.a. für die „Eifersucht“ von Edvard Munch portraitierte Stanislaw Przybyszewski. J.P. Hodin in „Edvard Munch. Der Genius des Nordens“. Stockholm: Neuer Verlag 1948 zitiert auf Seite 52 Meier-Graefe, eine Darstellung, die zu lesen sich lohnt, aber zu Jelagin passt wohl besser der Schluss eines Versuchs einer Beschreibung von Jens Thiis auf der folgenden Seite einer etwas ausgedehnten Party, die bei Richard Dehmel begann und bei den Przybyszewskis endete: „Hier verschwand plötzlich der Wirt. Als wir ihn suchten, fanden wir ihn nicht in seinem Bett, sondern draussen im Holzspeicher, wo er splitternackt auf einem hochaufgestapelten Stoss Birkenscheite sass und ganz für sich allein den Teufel spielte. So stark hatte [Gustav] Vigelands Hölle auf ihn gewirkt.“ Die Gewohnheit meiner Eltern, Schnippsel in den Büchern zu verbergen, ließ mich im Hodin auf die Kopie eines Prosagedichts von Kolbein Falkeid über die Frau Przybyszewskis, die Norwegerin Dagny Juell, stoßen. Und trotzdem kann ich mich den „blauen Blusen“ wieder nähern, da sie zumindest kurz, aber eben doch, in „Raumkonzepte. Konstruktivistische Tendenzen in Bühnen- und Bildkunst 1910-1930“, einer Ausstellung im Städelschen Kunstinstitut vom 2. März bis 25. Mai 1986 und dort auf der Seite 273 und wohl, wenn auch ohne Benamung, auf der Seite 293 auftreten.
Wo ist der Grund zu suchen, dass ich mich trotz Kopfschmerzen jetzt besser fühle?

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