Montag, 5. April 2010

Unkenntnis

Unkenntnis

Manchmal frage ich mich, wie ein Buch zerlesen werden kann. Da stand ein zerfetztes Exemplar aus der Bibliothek der Association des Amies du Foyer Franco-Scandinavie, aus-geschieden oder von meiner Mutter durch ihren Namenszug enteignet im Regal. Es gehörte zu den Büchern, von denen ich wusste, dass sie existieren. Und doch habe ich es erst jetzt aus Pietät, auf dass keine Seite beim Wegwurf verloren gehe, aufgeschnitten, eine Anthologie des Poètes Canadiens, composée par Jules Fournier mise au point et préfacée par Olivar Asselin. Montréal: Granger Frères 1920. Abgesehen von einigen wenigen Fachbüchern ist es, glaube ich, das einzige in Kanada erschienene Buch, das ich in der Hand gehabt habe. Noch schlimmer: Ich kenne nicht einen aus der langen folgenden Liste der Autoren, muss es vielleicht auch nicht nach einigen kurzen Blicken. Vielleicht gefällt mir das erste Gedicht des ersten Autors Joseph Quenel am besten. Und dennoch ist es schade, dass dieses Buch von mir nie wirklich gelesen, sondern nur ob seiner schlechten Papierqualität zerlesen wurde, da François Dumont sie in Voix et images 12.1987:3, S. 487-488 (http://id.erudit.org/iderudit/200661ar) als früheste und gleichzeitig ernstzunehmende Anthologie franko-kanadischer Poesie des 20. Jhs. aufführt. Einen ersten Eindruck mit weiterführenden Angaben findet sich auf L’île. L’infocentre littéraire des écrivains québécois (http://www.litterature.org/recherche/ecrivains/fournier-jules-205/), wo er als glühender Verteidiger der französischen Sprache charakterisiert wird, der allerdings schon 1918 mit 34 Jahren starb. Was diese Sammlung sehr schnell sympathisch macht, ist, dass offensichtlich nicht nur eine, wenn auch vielleicht die bedeutendste Schule oder Richtung der kanadischen Frühmoderne, die sich anthropomorph gesprochen pubertär an Baudelaire, Verlaine und Rimbaud orientierte, mit ihrem berühmtesten Vertreter Émile Nelligan, der soweit ich mich erinnere bei Lange/Eichbaum nicht auftritt, von Fournier berücksichtigt wird, sondern dass er versucht, die ganze Bandbreite franko-kanadischer Poesie bis ins zweite Jahrzehnt des 20. Jhs. zu berücksichtigen. Auf diese Weise habe ich aber trotzdem sekundär etwas über die Ècole littéraire de Montréal und deren Séancen im Chateau de Ramezay erfahren, weil ich mir zum zweiten die Bilder im Internet angeschaut, zum ersten François Couture und Pierre Rajotte in Études françaises 36.2000:3, S. 163-183 (http://id.erudit.org/iderudit/009729ar) gelesen habe.
Und jetzt die Liste, die sich in dreiundzwanzig Fällen aus dem Internet unterfüttern lässt, wenn man die Namen eingibt, um einiges häufiger, wenn man die Kurzbiographien aus Des poètes méconnus du Quebec. Une anthologie 1800-1950. La Bibliothèque électronique du Quebec, volume 72, version 3.1., Juin 2002 konsultiert. Aber auch von Fournier und Asselin wurde jedem Dichter eine Kurzbiographie und Werksliste beigefügt:

1. Napoléon Aubin (1812-1890)
2. Joseph-Guillaume Barthe (1816-1893)
3. Hermas Bastien (1897-)
4. Nérée Beauchemin (1850-)
5. Germain Beaulieu (1870-)
6. Alphonse Beauregard (1881-[1924])
7. Isidore Bédard (1806-1833)
8. Michel Bibaud (1782-1857)
9. Arthur de Bussières (1877-1913)
10. Jean-Baptiste Caouette (1854-)
11. Georges-Étienne Cartier (1814-1873)
12. William Chapman (1850-1917)
13. Jean Charbonneau (1875-1960)
14. Pierre-Joseph-Olivier Chauveau (1820-1890)
15. Édouard Chauvin (1894-)
16. Rodolphe Chevrier (1868-1949)
17. René Chopin (1885-1953)
18. Éphrem Chouinard (1854-)
19. Alonzo Cinq-Mars (1881-)
20. Octave Crémazie (1827-1879)
21. Louis Dantin (1865/1870-1945)
22. Guy Delahaye (Guillaume Lahaise) (1888-1969)
23. Gaston DeMontigny (1870-1914)
24. Hector Demers (1878-)
25. Amédée Denault (1870-)
26. Gonzalve Desaulniers (1863-1934)
27. Alphonse Désilets (1888-1956)
28. Henri Desjardins (1874-1907)
29. Émery Desroches (1877-1903)
30. Louis-Joseph Doucet (1874-1959)
31. Albert Dreux (mit richtigem Namen Albert Maillé (1887-)
32. Clovis Duval (1882-)
33. Eudore Évanturel (1854-1919)
34. Albert Ferland (1872-1943)
35. Édouard Fabre-Surveyer (1875-)
36. Louis-Joseph Fiset (1827-1898)
37. Louis Fréchette (1839-1908)
38. Englebert Gallèze (Lionel Léveillé) (1875-)
39. Alfred Garneau (1836-1904)
40. François-Xavier Garneau (1809-1866)
41. Antoine Gérin-Lajoie (1824-1882)
42. Charles Gill (1871-1918)
43. abbé Apollinaire Gingras (1847-1935)
44. Casimir Hébert (1879-)
45. Michel Helbronner (Jacques Savane) (1876-)
46. Wilfrid Lalonde (1876-1948)
47. Blanche Lamontagne (1889-1958)
48. J.-A. Lapointe (1878-)
49. Charles Leconte (1881-)
50. Napoléon Legendre (1841-1907)
51. Pamphile Lemay (1837-1918)
52. Joseph Lenoir-Rolland (1822-1861)
53. Albert Lozeau (1878-1924)
54. Roger Maillet (1896-)
55. Félix-Gabriel Marchand (1832-1900)
56. Ernest Martel (1882-1915)
57. Édouard-Zotique Massicotte (1867-1947)
58. Joseph Mermet (1775-1820)
59. Benjamin Michaud (1874-)
60. Dominique Mondelet (1799-1863)
61. Augustin-Norbert Morin (1803-1865)
62. Paul Morin (1889-1963)
63. Alfred Morisset (1843-1896)
64. Émile Nelligan (1882 [1879]-1941)
65. Jean Nolin (1898)
66. Antonio Pelletier (1877-1917)
67. Pierre Petitclair (1813-1860)
68. Adolphe Poisson (1849-)
69. James Prendergast (1858-1945)
70. Joseph Quesnel (1749-1809)
71. Lucien Rainier (abbé Joseph Melançon) (1877-)
72. Adolphe-Basil Routhier (1839-1920)
73. Joseph-Hormisdas Roy (1865-)
74. Benjamin Sulte (1841-)
75. abbé Alfred Tremblay (1861-)
76. Ernest Tremblay (1878-)
77. Jules Tremblay (1879-1927)
78. Remi Tremblay (1847-)
79. Joseph-Édouard Turcotte (1808-1864)
80. Émile Venne (Léo d’Yril) (1896-)
81. Émile Vézina (1876-1942)
82. Denis-Benjamin Viger (1774-1861)

Ein wenig sollte man diese Namensliste als Gedicht eigener Qualität verstehen, nicht so schön wie die Aufreihung der Flussnamen in der Grafschaft Devon oder das Gemurmel schottischer geographischer Namen, wenn das TLS seine Scotophilie beweisen will, aber dennoch.
Aus einer späteren Anthologie Junge amerikanische Literatur, herausgegeben von Walter Hasenclever. Berlin: Ullstein 1959 (Ullstein Buch 241) erfahre ich die Vornamen von Salinger, nämlich Jerome David und dass er schon mit fünfzehn Jahren Geschichten zu schreiben begann – und doch ist aus eigenem Recht wohl noch immer Thomas Chatterton – nicht wie der König von Rom aufgrund seiner Geburt – die jüngste Eintragung in verschiedenen Auflagen des Brockhaus.

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