Dienstag, 6. April 2010

Yorkshire 1972

1972 kam ich auch durch Yorkshire, durch Whitby, durch Hull und selbstverständlich durch York, wo ich Doubletten der Society for British Entomology fand, die Jahrbücher des Bureau of Entomology, Hangchow (Zhejiang sheng kunchongju niankan 浙江省昆虫局年刊) von 1932 bis 1935 = Bd. 2-5 und Arbeiten über südchinesische Reptilien von R. Mell, der berühmter vielleicht ist wegen seiner Untersuchungen zur Waldverbreitung im alten China, die ihren Niederschlag fanden auf Karten des Historical and Commercial Atlas of China von Albert Herrmann und z.B. in einem Aufsatz in der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 1933, S. 101-108. Entweder in York oder in Whitby fand ich antiquarisch ein Bändchen „by the late“ Reginald W[alter] Corlass, Sketches of Hull Authors. Hrsg. C.F. Corlass und William Andrews. Hull: H. Bolton, Savile Street 1879. Darin findet sich S. 40-42 eine Kurzbiographie von Adrian Hardy Haworth (1768-1833), ein hinreichend bekannter Name, um in der 14. Auflage des Brockhaus zu erscheinen, Botaniker und früher britischer Entomologe, bedeutend oder kuriös genug, um nachgedruckt zu werden (c.f. Complete Works on Succulent Plants by Adrian Hardy Haworth, Hrsg. William T. Stearn. 5 Bde. Farnborough: Gregg Press 1965 / Review in: Taxon 15.1966: 7, 274-276), und eben ein bedeutender Spross der Stadt Hull. Eine andere nicht so bedeutende, aber ebenfalls Assoziationen weckende Person ist der Reverend Richard Patrick, M.A. (S. 73-75), der so vielversprechende, jedoch noch nicht als (am 16. April 2008) im Internet abrufbare Volltextversionen, Publikationen aufzuweisen hat wie The State of Morals in a Sea-port. Hull 1809 und A Chart of 10 Numerals in 200 Languages, with a descriptive Essay. 1812. Und es ist keineswegs spöttisch gemeint, wenn ich behaupte, auf einen Artikel “A Brief History of the Latin Tongue, its Greek or Æolian Origin in Asia and Lydia; the Greek Origin of its Letters, the Causes of its Death, and its Successor the Provençal” neugierig zu sein, wie auch seine quasi-sinologischen Beiträge in The Classical Journal. London, nämlich „An Essay on the Chinese World“ und „The China of the Classics“, nur der letztere unproblematisch nachvollziehbar durch den „Appendix to Mr. Patrick’s Eassay on the „China of the Classics“ inserted in No. VI of The Classical Journal, in: The Classical Journal 5.1812: 10, S. 252-261.
Der mit einer Ausnahme – nämlich der von William Wilberforce – offensichtlich berühmteste Hullian (S. 115-117) ist Thomas Perronet Thompson, über den man im Internet eine Menge erfahren kann, aber besser zu mir passt wahrscheinlich sein Namensvetter Benjamin Thompson (1774-1816) (S. 118-121), Übersetzer von Kotzebue, Schiller, Goethe, Lessing und Iffland u.a., und seine Nachahmungen Gellerts erschienen zuerst in der „Poets’ Corner“ des Hull Advertiser, wobei anzumerken ist, dass Thompson – oder Corlass – nicht ganz so global ist wie der Redakteur der Foreign Quarterly Review, der zumindest 1837 konsequent Göthe schreibt.
Seit 1990 gibt es The Arthur Ransome Society – dort oder bei der entsprechenden Vereinigung für George Borrow könnte ich mich zu Hause fühlen, hätte ich mich nicht 1960 in dem Lied von Tom Lehrer „Be Prepared“ entdeckt: „I never was and never will be a member of the boy-scouts of America“.
Fast weine ich noch heute darüber, dass ich 1972 in einem Antiquariat in Guildford Borrows Targhum für 4 1/2 Pfund entdeckte, nicht kaufte, weil die Orgie bereits den ganzen Tag angedauert hatte und ich den Rücksitz des Autos bereits mit zu vielen Büchern des Demetrius Boulger gefüllt hatte. Ein Telephonat am gleichen Abend, eine Rückkehr nach Guildford am nächsten Tag fruchteten nichts mehr – das in St. Petersburger Langeweile oder Muße entstandene Bändchen tat so, als habe es in Guildford nie existiert. Der Anruf war ein Fehler! Übrigens: Nie gesehen und nie versucht zu bekommen habe ich Vinterblommer i Barnekammeret von Henrik Wergeland (1840) oder Nor von Asbjørnsen, nach Hagemann 1965, 13, überdies praktisch unmöglich zu finden. Auf einer Fußwanderung durch England von Ost nach West 1973 sah ich an einem Sonntag in einem Dorf in den Cotswolds Herman Wildenveys Samled Dikt. Bd. 1-6. Oslo Gyldendal Norsk Forlag 1936-1937. Nicht so selten – sie standen sogar in dem meist ungelesenen Bücherschrank meiner Tante Annemarie – bekam ich sie gegen Rechnung später nach einem Briefchen zugeschickt. In den ersten vier Bänden hat sich der Vorbesitzer John Buxton verewigt, der seine Erwerbung dieser Bände auf die Zeit zwischen dem 10. Mai und 23. Juni 1938 in Oslo datiert.
Aber es war gar nicht Borrow bzw. ein Buch von ihm, das ich vermisste, sondern meine erste Bekanntschaft mit Arthur Ransome, das einzige Buch von ihm, das ich in deutscher Übersetzung besaß und las. Ich glaube es hieß „Eine unfreiwillige Seefahrt“ und hatte die Zensurbehörden der Besatzungsmacht passiert. – Aber es ist gar nicht verschwunden, denn meine Schwester Bergljot teilte mir am Telephon mit, dass es mit meinem Einverständnis bei ihr gelandet sei, vergilbt zwar, aber doch noch in Form. Auf Englisch ist der Titel klar, weil das Puffinbändchen – offensichtlich erst 1972 gekauft, ein bißchen angestaubt zwar, aber noch tadellos vor mir liegt „We didn’t mean to go to sea“. Wegen David Copperfield, George Borrow und der Swallows und Amazons – und vielleicht auch ein wenig wegen Knut des Großen – gab es hinreichend Gründe, East Anglia zu erwandern und, davon allerdings nur zu träumen, über die Broads zu segeln.

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